Altstadtfest
ungehobelt klingen. Hauptsache, alle verstehen, was gemeint ist.«
Nerius warf mir einen spöttischen Blick zu und machte sich an die Übersetzung. Er brauchte etwas länger als sonst. Petazzi schnappte einmal kurz dazwischen, Nerius erläuterte, dann folgte die gemeinsame Presseerklärung: Im Grunde seien unsere Standpunkte nicht weit voneinander entfernt. Es gehe ja nicht darum, mir das Denken zu verbieten, sondern die Ermittlungen auf eine einzige, Erfolg versprechende Spur zu lenken. Natürlich dürfe ich von Petazzis Theorie halten, was ich wollte, nur sollten meine Recherchen davon unbeeinflusst bleiben.
»Und wie soll das funktionieren? Wenn ich Sie richtig verstehe, müsste ich das BKA anzapfen, um herauszufinden, in welcher Richtung dort gerade gedacht wird.«
»Es muss, wie gesagt, eine Verbindung zwischen meiner Tochter und den Attentätern geben. Beatrice hat in einer Wohngemeinschaft gelebt; vielleicht wurde der Kontakt über ihre Kommilitonen hergestellt. Finden Sie heraus, mit wem sie in den letzten Monaten Umgang hatte. Wer ihre Bekanntschaft suchte, wem sie von ihren Plänen erzählte. Sobald Sie auf Italiener stoßen, liefern Sie uns Namen.«
»Sie wird jede Menge italienische Bekannte gehabt haben. Ist doch normal.«
»Mitglieder radikaler Gruppen, Globalisierungsgegner, fanatische Linke: Wenn Sie auf solche Leute aufmerksam werden, informieren Sie uns. Alles Weitere können Sie uns überlassen.«
Ich zögerte mit der Antwort. So formuliert, klang der Auftrag sehr übersichtlich. Ich würde ein wenig im Leben der Ermordeten herumstochern, mich für diese unangenehme Aufgabe fürstlich entlohnen lassen und Petazzis Hirngespinste würden Hirngespinste bleiben. Natürlich konnte ich ihm Namen liefern, jede Menge. Er würde sie mithilfe seines heimatlichen Netzwerks Big-Brother-mäßig durchleuchten lassen, bei dem einen kam was heraus, bei dem anderen nicht. So weit, so schlecht. Aber war das alles? Gab es da nicht noch einen Hintergedanken, den mir das Duo Petazzi-Nerius verschwieg?
»Okay«, sagte ich schließlich. »Dann erklären Sie mir Folgendes: Wie soll ich mir Planung und Ablauf des Anschlags vorstellen? Irgendeine Gruppe, die Ihnen schaden möchte, erfährt, dass Ihre Tochter in Heidelberg studiert. Man beschließt Beatrices Tod, weil man an Sie selbst nicht herankommt. Richtig?«
»Korrekt.«
»Warum dann ein öffentliches Attentat mit vier Opfern? Warum entführt man Beatrice nicht einfach und verlangt Lösegeld?«
»Weil man durch das Attentat die wahren Intentionen verheimlichen kann. Wie es ja auch gelungen ist. Alle Welt, Sie eingeschlossen, geht von einem Amokschützen aus. Wenn dann noch das Bekennerschreiben einer dubiosen Vereinigung ins Spiel kommt, ist die Verwirrung perfekt.«
»Sie glauben also, dieser angebliche Bekennerbrief ist Teil des Arrangements. Pure Ablenkung.«
»Das halte ich für sehr wahrscheinlich.«
»Und wie soll der Anschlag abgelaufen sein, Ihrer Meinung nach? Da wartet dieser Mensch, der Schütze vom Uniplatz, brav hinter der Bühne, bis Beatrice in der ersten Reihe steht, um dann nach vorne zu springen?«
Petazzi nickte.
»Hören Sie, der Typ hatte eine MP . Damit steht man nicht stundenlang in der Gegend herum und wartet auf die Gelegenheit zum Losschlagen.«
»Vielleicht gab es einen Komplizen«, erwiderte Petazzi, der allmählich ungeduldig wurde. »Jemanden, der den Schützen informierte, der ihm im richtigen Moment die Waffe brachte. Denken Sie daran, dass der Mann spurlos verschwinden konnte. Das spricht für ein geplantes Attentat und es spricht für Hintermänner.«
»Ja, möglich.«
»Ansonsten ist es mir zuwider, mich mit Einzelheiten des Anschlags zu beschäftigen. Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür. Wie sieht es nun aus, Herr Koller? Helfen Sie mir oder nicht? Ich wüsste ganz gerne, wie Sie sich entscheiden. Einzelheiten können Sie immer noch mit Wolfgang besprechen.«
Petazzi sah Nerius bei diesem Satz nicht an, wie er ihn ohnehin kaum eines Blickes würdigte. Im Hintergrund machte sich wieder das Handy bemerkbar. Der Leibwächter ließ ein knappes »Pronto?« hören, danach nur ein einziges »Sì«. Das reichte, um das Gespräch zu beenden.
»Gut«, sagte ich. »Ich will es mal auf den Punkt bringen. Sie haben mir da ein abenteuerliches Szenario aufgetischt, Signor Petazzi. Aber erstens verstehe ich sehr gut, dass Sie nach einer Erklärung für den Tod Ihrer Tochter suchen, und zweitens haben mich abenteuerliche
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