Altstadtfest
wir beide?«
Ich musterte ihn. Gegen diese armselige Kreatur war sogar der Tätowierte von vorhin eine Respektsperson. »Ich werde mit Petazzi sprechen. Wenn er nichts dagegen hat, mal eben 50.000 durch den Ofen zu jagen, bitte. Mein Geld ist es nicht.«
»Gut.«
»Ich würde es jedenfalls nicht investieren.«
»Dich fragt ja auch keiner«, giftete er und funkelte mich an mit seinen Knopfaugen. »Morgen früh melde ich mich und sage dir, wo wir uns treffen.«
Die OEG hielt in Dossenheim. Ohne ein weiteres Wort stieg er aus. Auf dem Bahnsteig blickte er sich nach allen Seiten um, bevor er davonhuschte.
9
Zu Hause angekommen, legte ich mich erst einmal aufs Ohr. Es war einiges passiert an diesem Mittwoch, Unangenehmes und Überraschendes, und der Tag war noch nicht zu Ende. Die Farewellparty in der Galerie Urban stand an, außerdem ein Gespräch mit meinem Auftraggeber. Petazzi und Nerius würden triumphieren, wenn sie von meiner Begegnung mit dem Frettchen erfuhren, da konnte ich das Gestammel des Kleinen noch so herunterspielen. Sehen Sie, Herr Koller? Haben wir es nicht gleich gesagt? Der Kunsthistoriker würde vorwurfsvoll am malträtierten Hemdkragen herumfingern, sofern er nicht vor lauter Selbstgefälligkeit platzte.
Nein, sein Hemd würde Nerius längst gewechselt haben.
Und das Geld? Das war allerdings die spannendere Frage: ob sich Petazzi bereit erklärte, die geforderten 50 Mille herauszurücken.
Nachdem ich ein halbes Stündchen gedöst hatte, setzte ich mich an den Schreibtisch und brachte meine Notizen zu dem Fall auf den neuesten Stand. Der Gedanke an das Frettchen und an das, was es möglicherweise zu verkaufen hatte, drohte die Informationen von Beatrices Mitbewohnerinnen bereits zu überlagern. Mein Gedächtnis für Details war gut, aber dieser Fall spielte auf mehreren Ebenen.
Anschließend duschte ich, wechselte die Kleider und schnitt mir die Fingernägel. Es war schließlich das erste Mal, dass ich eine Galerie besuchte. Als ich eben gehen wollte, läutete das Telefon. Meine Exfrau. Kein Wort über unsere gestrige Auseinandersetzung. Wir waren nett zueinander, höflich, hielten uns bedeckt wie zwei Chefdiplomaten. Danke, dass du anrufst. Hoffentlich störe ich nicht. Hast du schon etwas herausgefunden?
»Dein Petazzi«, sagte Christine, »ist wirklich ein besonderer Mensch. Jeder, den ich fragte, wusste etwas über ihn zu erzählen. Manche fanden ihn klasse, aber die meisten fingen an zu schimpfen wie ein Rohrspatz, sobald sie seinen Namen hörten. Wobei die Dinge sicher anders lägen, wenn ich mich in Norditalien umgehört hätte.«
»Oder ganz im Süden.«
»Ja, vielleicht. Sie nennen ihn ›il camaleonte‹, das Chamäleon. Weil er so oft die politischen Farben gewechselt hat. Was man positiv oder negativ auslegen kann, wie überhaupt alles im Leben Petazzis. Es gibt zum Beispiel keine Frauengeschichten über ihn. Ein Vorbild, sagen seine Anhänger. Nicht mal das kriegt er hin, seine Gegner.«
»Er hat immerhin diese Krankheit.«
»Eine Nervengeschichte. Die ist übrigens für die Öffentlichkeit tabu. Keine Zeitung schreibt darüber, und im Fernsehen wird Petazzi immer nur sitzend oder stehend gezeigt. Dafür zerreißen sie sich auf der Straße das Maul. Aber das wird dich nicht unbedingt interessieren.«
»Ist die Krankheit tödlich?«
»Im Endeffekt schon. Allerdings kann man Jahrzehnte mit ihr leben. Es handelt sich um eine Variante dessen, was diesen Physiker aus Cambridge an den Rollstuhl fesselt.«
»Stephen Hawking.«
»Ja, und der ist über 60. Okay, zurück zum Politiker Petazzi. In Rom gilt er als einer der führenden Separatisten und Hetzer gegen Italiens Süden. Ein Mann, der sein Anti-Mafia-Image pflegt. Aber genau das nehmen ihm viele nicht ab, weil seine Unternehmen so florieren. Ohne Mafia kein Erfolg, sagte unser Busfahrer. Es gibt kaum eine Sparte, in der Petazzi nicht irgendwie die Finger drin hat. Baubranche, Supermärkte, Elektronik, einfach alles. Und natürlich mischt er bei einem der großen Fußballklubs mit.«
»Bei welchem?«
»Hab ich vergessen.«
»Vergessen? Das könnte eine Information von entscheidender Bedeutung sein.«
»Wird nachgeliefert«, sagte sie, ohne auf meinen scherzhaften Ton einzugehen. »Einer aus der Hotelbar kriegte sich kaum noch ein, als er den Namen Petazzi hörte. Der sei schuld, dass sein Lieblingsverein absteigen musste. Schiedsrichterbestechung, gekaufte Spieler und all das. Wenn man den so reden beziehungsweise
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