Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
Vom Netzwerk:
kneifen.
    Er kniff nicht.
    Wir fuhren in Weinheim ein, als er von ganz vorne nach ganz hinten kam, mit eckigem, leicht hinkendem Gang.
    Es war das Frettchen.
    »Aussteigen«, flüsterte er, und ich erkannte seine gehetzte Angsthasenstimme sofort wieder, obwohl er sie dämpfte. Er war klein und schmächtig, aus seinem nichtssagenden Gesicht ragte eine schmale, spitze Nase, darunter verteilte sich struppiger Flaum über der Oberlippe. Braune Punktaugen, das Haar bloß lästiger Flechtenbefall eines ovalen Schädels. Er trug ein kariertes Hemd und Jeans. Ein Witz von einem Nazi.
    »Kennen wir uns?«, sagte ich.
    »Los, raus mit dir!« Er packte mich am Arm und zog mich zum Ausgang. Widerstandslos ließ ich mich auf den Bahnsteig führen. Ein zweiter Zug stand abfahrbereit in Gegenrichtung. Der Kleine sah sich nach allen Seiten um, bevor er einstieg.
    »Wie jetzt?«, sagte ich. »Zurück nach Heidelberg?«
    »Schnauze, komm rein. Ich sage, wos langgeht.«
    Achselzuckend folgte ich ihm. Er blieb an der Tür stehen und beobachtete den Bahnsteig. Ohne einen weiteren Fahrgast fuhr die OEG los.
    »So viel Angst am helllichten Tag?«, fragte ich.
    Er zog ein zusammengeknülltes Stofftaschentuch aus der Hosentasche und wischte sich über die Stirn. Vielleicht schwitzte er, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall roch er, nach Dachboden und alten Kleidern.
    »Hast du das Geld?«, sagte er und steckte das Taschentuch wieder ein.
    »Welches Geld?«
    »Spinnst du? Ich habe dir gesagt, wie viel ich will.«
    Eine rundliche Frau mit Koffer drückte sich an uns vorbei. Das Frettchen schob mich zu einem freien Vierersitz und nahm neben mir Platz.
    »Also, hast du die Kohle?«, zischte er.
    »Erst die Ware, dann das Geld.«
    »Die kriegst du, Alter. Aber vorher will ich sehen, ob du das Geld dabeihast. Sonst erzähle ich nix, verstehst du?«
    »Nix habe ich dabei, Mister Nix.«
    »Verdammt, wieso nicht?«
    »Wenn du mir keine Zeit lässt, das Geld zu besorgen, brauchst du dich nicht zu wundern. Außerdem: Glaubst du, Petazzi wäre so blöd, die Katze im Sack zu kaufen? Ich habe dir gesagt, wie es läuft. Du erzählst mir ein bisschen was über deine arischen Freunde, ich prüfe das, und wenn deine Angaben stimmen, kommen wir ins Geschäft.«
    Fluchend sprang der Kleine auf, die Fäuste geballt. Vor Wut bekam er Flecken im Gesicht, sein mickriger Schnurrbart sträubte sich.
    »Du begreifst nicht, Schnüffler«, blaffte er mich an. Dann setzte er sich wieder und senkte die Stimme. »Der Deal muss schnell über die Bühne gehen. Ich habe keine Zeit, verstehst du? Vielleicht beobachten sie uns schon. Ich kann nicht ewig warten, bis du irgendwas geprüft hast.«
    »Wer beobachtet uns? Deine Nazifreunde?«
    »Spätestens morgen muss ich die Kohle haben, klar? Morgen Mittag, zwölf Uhr. Sonst erfahrt ihr nie etwas, du und dein Spaghetti. Nie!«
    »Er heißt Petazzi.«
    »Mir egal. Also, was ist? Deal oder nicht?«
    »Du bist am Zug. Ich will wissen, ob du überhaupt etwas zu verkaufen hast.«
    »Habe ich. Keine Angst, Alter.«
    »Keine Angst ist gut«, lachte ich. »Und das von dir!«
    Das Frettchen schwieg, weil ein Mütterchen mit runzligem Gesicht an uns vorbeischlurfte. Sie ließ sich zwei Reihen entfernt nieder und nickte uns lächelnd zu.
    »Okay, pass auf«, begann er flüsternd. »Die Arische Front, das sind Leute, die kenn ich ganz genau. Kumpels quasi. Aber was die jetzt machen – ohne mich. Da kann ich nix für.«
    »Kumpels?«
    »Ja. Arbeitskollegen. Und so eine Art Verwandter von mir. Wir gehen gemeinsam zu Fußballspielen. Und zum Eishockey. Mit Gleichgesinnten. So.« Wieder zückte er sein Taschentuch. Die Anstrengung, nicht zu viel seines Wissens preiszugeben, stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Dieses Jahr … also, es gab schon immer die Meinung, was zu tun. Was zu unternehmen. Auf Dauer ist es frustrierend, nur zum Fußball zu gehen und einmal im Jahr zum Kameradschaftstreffen.«
    »Was meinst du mit Gleichgesinnten?«
    »Arisch«, sagte er. »Was denn sonst? National und rassisch sauber, klar?«
    »Darum geht es bei eurer Truppe?«
    »Worum sonst? Ich meine, wo sind deutsche Betriebe noch in deutscher Hand? Ist doch alles von Ausländern besetzt. Ohne Türken wären wir das reichste Land der Erde. Kannst du überall nachlesen. Wir hätten null Arbeitslosigkeit, keiner würde uns reinreden. Aber solange die Zecken an der Macht sind, passiert nix.«
    »Verstehe.« Ich stellte mir eine Kolonne von Frettchen mit Oberlippenbart

Weitere Kostenlose Bücher