Altstadtfest
schimpfen hörte, konnte man sich plötzlich vorstellen, dass es Leute gibt, die Petazzi Böses wollen.«
»Wegen Fußball? Da gibt es vielleicht Randale und Prügeleien, aber keinen ausgeklügelten Anschlag in Deutschland.«
»Ich sage ja nur«, erwiderte sie müde. »Du wolltest doch die Stimme des Volkes hören.«
»Schon gut.«
»Also, bei den meisten kommt Petazzi schlecht weg: ein Bonze, ein Kapitalist, Faschist, Rassist. Das sind so die gängigen Beschimpfungen. Am radikalsten hat sich unser Busfahrer geäußert, der ist Kommunist. Allerdings konnte der mir auch ein paar interessante Geschichten erzählen.«
»Und zwar?«
»Wie Petazzi die Gewerkschaften von seinen Betrieben fernhält zum Beispiel. Das ist landesweit einmalig. Und seine Angestellten unterstützen ihn dabei, zum großen Teil jedenfalls. Im Ausland übernimmt er gerne kleinere Konkurrenzfirmen, deren Gewinne er so lange zur Zahlung seiner Kredite nutzt, bis sie pleitegehen. Sein Finanzloch ist gestopft, und er hat einen Widersacher weniger. Oder er kauft bankrotte Unternehmen auf dem Land, die er zu retten verspricht – zu seinen Bedingungen. Das heißt dann Steuerbefreiung für ihn, Dumpinglöhne für die Arbeiter und Missachtung der Sicherheitsstandards während der ersten Monate.«
»Und so wird der Signore zum allseits bejubelten Firmenretter.«
»Richtig. Vor ein paar Jahren brach ihm diese Politik allerdings fast das Genick. In der Nähe von Como gab es eine marode Lackfabrik, der er mit den üblichen Methoden auf die Beine half. So weit alles in Ordnung. Aber dann trat über Wochen irgendein giftiges Zeug aus, im Comer See starben die Fische, Anwohner erkrankten. Daraufhin wurde die Firma geschlossen. Für immer. Die Verantwortlichen kamen vor Gericht.«
»Petazzi auch?«
»Er war nicht verantwortlich.«
»Natürlich nicht.«
»Sondern richtete einen Entschädigungsfonds für die Betroffenen ein.«
»Wie schön von ihm.« Ein Entschädigungsfonds, was sonst! Zu dem hatte ihm wahrscheinlich sein PR-Berater geraten. Schon hatte Petazzi die Schlagzeilen über sich ins Positive gewendet, und verantwortlich waren eh die anderen. Auf zur nächsten Industriebrache!
»Das wars«, schloss Christine. »Ich habe alle Italiener angesprochen, derer ich habhaft werden konnte.«
Ich bedankte mich. Ausführlich und umständlich. Sogar eine Belohnung in Form eines gemeinsamen Abendessens lag mir auf der Zunge, als sie mich unterbrach.
»Gibt es was Neues über den Anschlag?«, fragte sie. »Waren es tatsächlich Neonazis?«
»Sieht so aus.« Ich verschwieg ihr meine Begegnung mit dem Frettchen. Wenn sie davon wüsste, würde sie keine ruhige Nacht mehr in Rom haben.
»Erinnerst du dich?«, begann sie leise, dann brach sie ab, um sich umständlich zu räuspern. »Ich habe extra nachgeschaut. Wenn tatsächlich Rechtsradikale dahintersteckten, wäre das ihr erster großer Anschlag seit dem Oktoberfest-Attentat 1980.«
»Kann sein.«
»Ich war damals in der Grundschule. Und ich sehe meinen Vater noch vor mir, wie er meiner Mutter die Zeitung zeigte. Weißt du, Max, wir hätten damals nicht …« Wieder brach sie ab.
Ich schwieg. Enthielt ihr die tröstenden Worte vor, den freundlichen Widerspruch. Ich wusste, was sie meinte. Auf dem Oktoberfest vor neun Jahren hatten wir beschlossen zu heiraten. Der Beschluss wurde auf einem Bierdeckel festgehalten. Es war eine vom Alkohol beflügelte Idee gewesen, und als wir wieder nüchtern waren, hatten wir geglaubt, sie in die Tat umsetzen zu müssen. Damals fanden wir das lustig. Vor dem Standesamt drückte uns Fatty unter dem Applaus unserer Freunde zwei volle Maßkrüge in die Hand, die wir natürlich leerten. Ich in einem Zug, Christine nach und nach. An das Attentat von 1980 dachte in diesem Moment niemand. Nur an die fröhliche Stimmung im Zelt ein paar Wochen zuvor, an die Musik und an den Wunsch, etwas Verrücktes zu tun. Heiraten zum Beispiel. Unter normalen Bedingungen wäre mir eine Hochzeit nie in den Sinn gekommen. Ein Besuch des Oktoberfests aber auch nicht. Von Christine in eines der Zelte gezogen, fand ich das bierselige Gegröle widerlich. Ein paar Maß später änderte sich das, und zwar gründlich. Auch unsere Erinnerungen an das Oktoberfest veränderten sich mit der Zeit. Aus dem anarchischen Besäufnis von einst wurde ein peinliches Ereignis. Der Hilferuf zweier überforderter Einzelgänger, die sich im Alkoholrausch aneinandergeklammert hatten. Ozapft is.
»Das eine hat mit
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