Altstadtfest
wie letztes Mal. Sobald ich ihn gesprochen habe, komme ich zurück.«
»Ooch, schade. Du könntest mich mit ihm bekannt machen.«
»Geht nicht, Greta. Wir sind sozusagen im Dienst. Trink was auf mich, ja? Bis nachher.«
Sie zog einen Flunsch und blickte mir enttäuscht nach. Mich hätte interessiert, welche Hose als nächste daran glauben musste.
Kein Lockenkopf an der Eingangstür. Der dicke Zeigefinger des Gorillas wies mir die Richtung, in der mein Mitarbeiter verschwunden war. Ich schlug mich durch die immer noch kauende Menschenmenge. Inzwischen knabberten sie wahrscheinlich das Silber von den Löffeln. Kein Lockenkopf. Selbst Schlanke in meiner Größe gab es nicht viele. Im mittleren Raum stand ein Grüppchen vor dem Marmorwürfel und tat beeindruckt. Ganz hinten strichen und zupften die vier klassischen Damen auf ihren Instrumenten, begleitet vom kennerischen Nicken des Ollen aus Buxtehude. Auch dort keine Locken. Dafür ein vorbildlich modellierter Pagenkopf.
»Sie schrecken auch vor gar nichts zurück, Herr Koller«, sagte Renate Urban kalt. »Hat Ihnen die Göre ihre Tätowierung auf der Arschbacke gezeigt?«
»So weit waren wir nicht gedrungen. Wussten Sie, dass ihr Kleid im Dunkeln leuchtet? Es ist aus fluoreszierendem Türkis.«
Kopfschüttelnd ging sie weiter.
»Und was die Formen der Göre betrifft«, rief ich ihr nach, »die sind so perfekt, dass sie zu allem Möglichen taugen, nur nicht zur Trauerarbeit.«
»Wie meinen?« Das war Wolfgang Nerius, der eben den Raum betrat.
»Nicht der Rede wert. Ich plaudere ganz gerne mit Ihrer Gattin.«
»So?« Es war aber auch zu drollig. Kaum sprach man ihn auf seine Frau an, zog ein Sturmtief über sein Gesicht. »Sie wollten doch Signor Petazzi von Ihren Recherchen berichten, Herr Koller.«
»Kommt noch. Erst muss ich ein paar Worte mit meinem Assistenten wechseln.«
Er sah mir stirnrunzelnd nach. Ich ging zurück in den Buffetraum, wo ein ganzer Schwarm schwarzer Schatten um einen Lichtpunkt in Türkis tanzte.
Und dann entdeckte ich ihn.
Er war in der Tat schlank und hochgewachsen. Im Gesicht ein prächtiger Zinken, auf dem eine randlose Brille saß. Seine ehemals dunkle Lockenmähne war fast vollständig ergraut, weshalb sich sein Alter schwer schätzen ließ. Ende 40? 50? Irgendwie machte der Kerl einen verletzlichen Eindruck auf mich. Er trug einen leichten Mantel und einen Schal.
Mein Assistent grinste mich an. Ich grinste nicht.
»Hallo«, sagte er, als ich vor ihm stand.
»Fünf Euro Stundenlohn, drei Tage Urlaub im Jahr, keine Überstundenvergütung, kein Feiertagszuschlag. Meinen Kaffee nehme ich stark, mit Milch, aber ohne Zucker. Der Morgen beginnt mit einer dreimaligen Preisung des Chefs – das bin ich –, und wenn Sie in die Gewerkschaft eintreten, werden Sie gefeuert. Einverstanden?«
»Bitte?«
»Sie hatten sich doch um ein Volontariat bei mir beworben, nicht?«
»Entschuldigung. Irgendetwas musste ich dem Türsteher ja erzählen.«
»Und was wollen Sie von mir?«
»Mit Ihnen reden. Und etwas trinken. Sie nehmen doch einen, oder?« Wie bestellt kam die junge Bedienung vorbei. Sie hielt sich tapfer auf den Beinen, obwohl sie sich beim Gehen wechselseitig auf die Füße trat.
»Auf Ihr Spezielles«, sagte mein Assistent und hob sein Glas.
Schweigend nahm ich einen Schluck. Heute Abend wollten sie alle einen mit mir saufen. Marc, Greta, der Typ hier. In der nächsten Sekunde würde er mir das Du anbieten und ein Bussi ins Gesicht drücken. Apropos Gesicht: Je länger ich in das seine starrte, desto sicherer war ich mir, es schon einmal gesehen zu haben. Wo? Wann? Keine Ahnung.
»Na, wie gefällt es Ihnen hier?«, wurde ich gefragt.
Ich seufzte. Warum machen es einem die Leute immer so schwer? Rüde packte ich den Kerl am Arm und drehte ihn so, dass er Richtung Eingang schaute. Hoch über den Besuchern thronte die Stoppelmähne des Leibwächters.
»Der Kerl dort«, sagte ich, »Luigi, oder wie er heißt, braucht fünf Sekunden von der Tür zu uns, wenn ich ihn rufe. Und wenn ich ihm sage, dass Sie gar nicht mein Assi sind, braucht er noch einmal fünf Sekunden, um Sie im Neckar zu versenken. Also quatschen Sie nicht blöd rum, sondern beantworten Sie meine Frage. Was wollen Sie von mir?«
»Toller Auftritt«, sagte er mit gekränkter Miene und machte sich los. »Glauben Sie, dass mich das beeindruckt? Ich bin hier, weil ich heute Morgen Ihr Bild …«
»… in der Zeitung gesehen habe, klar. Das haben noch tausend
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