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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Umso wichtiger ist es, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind. Signor Petazzi braucht Sie, er braucht die Anwesenheit und den Trost seiner Freunde.«
    Applaus wie zuvor. Es war mucksmäuschenstill geworden, als Renate Urban sprach. Durch den vorderen Raum huschten die Bedienungen auf Zehenspitzen, im hinteren schien man sogar die Luft anzuhalten. Mittendrin hingen Covet und ich in unseren Stühlen und beglotzten die Wand. Als Blickfang diente uns ein leicht verzerrter Marmorkubus auf einem Sockel.
    »Wie findest du die Urban?«, raunte ich Covet zu.
    »Als Frau oder als Rednerin?«
    »Beides.«
    »Als Frau nicht so gut aussehend wie du und als Rednerin nicht so schlecht wie du.«
    »Nicht so gut aussehend wie ich?«
    »Nicht so gut aussehend, wie du sie findest, meine ich.«
    »Finde ich nicht. Ich hasse Pagenköpfe.«
    Covet winkte nur müde ab. Einer der Gäste, die im Durchgang zum Musikzimmer standen, wandte sich um und warf uns vorwurfsvolle Blicke über den Goldrand seiner Brille zu. Von Renate Urbans Rede wollte er keinen Satz verpassen. Recht hatte er. Nerius’ Gattin hielt sich nicht lange mit Erinnerungen an das verstorbene Mädchen auf, sondern kam rasch zum Großen und Ganzen, zu dem, was über den Tod und über die Trauer hinausweist. Und das war, wie bei einer Galeristin nicht anders zu erwarten, die Kunst. Das Bleibende, Überdauernde, Ewige der Kunst, wie es sich beispielsweise in der italienischen Renaissancemalerei manifestierte – hier machte sie bestimmt einen Knicks Richtung Petazzi – oder in der Bildhauerei unseres Jahrhunderts. »So auch die Steinskulpturen in meiner Galerie«, verkündete die Urban. »Sie wurden von zwei polnischen Künstlerinnen gefertigt, deren existenzielles Bedürfnis es war, ihre traumatischen Jugenderlebnisse zu bewältigen. Es handelt sich gewissermaßen um in Stein gehauene Trauerarbeit.«
    »Spinnt die?«, entfuhr es mir. Das windschiefe Ding vor uns mochte einem Kleinwagen als Bremsklotz dienen, aber nie und nimmer zur Bewältigung kindlicher Traumata.
    »Sämtliche Objekte orientieren sich an einfachen dreidimensionalen Formen, an Kugel, Ei, Würfel, Rhombus und so weiter, ohne deren Perfektion zu erreichen. Wenn Sie genau hinsehen, werden Sie Risse entdecken, Verwerfungen, Brüche oder Dellen. Mal fehlt eine Ecke, mal stimmen die Proportionen nicht. Diese Irritation ist gewollt.«
    »Und was hat das mit Beatrice zu tun?«, fragte ich Marc. Der zuckte nur die Achseln.
    »So viel, meine lieben Freunde, zur wechselseitigen Abhängigkeit von Leben und Kunst, deren Bedeutung uns in diesen Tagen wieder einmal schmerzlich bewusst geworden ist. Und nun möchte ich Sie einladen, sich an unserem kleinen Buffet zu stärken.«
    »Abhängigkeit von Leben und Kunst?«, knurrte ich. »Das sagt die Richtige! Die Kunst in ihrer Galerie ist nur von einem abhängig: vom Geld Petazzis.«
    Covets Erwiderung fiel dem Lärm einer Völkerwanderung zum Opfer. Den Goldbebrillten an der Spitze, blies die gesamte Trauergesellschaft zum Sturm auf das Buffet. Ledersohlen scharrten über das Parkett, Pfennigabsätze klackerten, hin und wieder knurrte ein Magen in Vorfreude. Schwarz rauschte es an uns vorbei, stockte an den Durchgängen, verkeilte sich.
    Aber bitte, nach Ihnen. Sie sehen so hungrig aus.
    Nein, nach Ihnen. Ich bin nur zum Trauern hier.
    Wenn Sie nicht wollen, ich will.
    Wer trauert, muss auch essen.
    Es dauerte keine Minute, da platzte der vordere Raum aus allen Nähten. Hinten bei der Musik hielt die Gastgeberin tapfer die Stellung. Und in der Mitte waren Covet und ich immer noch allein mit dem angeschrägten Marmorwürfel.
    »Stell dir vor, die Galerie wäre ein Schiff«, murmelte mein Freund.
    »Dann wäre sie jetzt gekentert. Was meinst du, wie lange sie brauchen, um das Buffet zu putzen?«
    »Zwölf Minuten. Höchstens.«
    Ich dachte an den Rotarier mit den Flusspferdbacken. »Zehn. Die Wette gilt, nimm du die Zeit.«
    Exakt zehn Minuten später begaben wir uns nach Backbord. In die Schiffsmesse. Oder zum Bug der Galerie, wie auch immer. Jedenfalls waren zwei Drittel der Platten geputzt, die Austern geschlürft, der Lachs gemetzelt, das Rindercarpaccio zersäbelt. Mortadella lag in großen Lappen herum, auch Eselsalami aus den Abruzzen war noch zu haben. Zwischen der Salatgarnitur warteten Käsewürfel auf Abnehmer, jeder einzelne von ihnen ebenmäßiger als das Marmording im Nebenraum.
    »Wette verloren«, sagte Covet. »Da waren die Augen mal wieder größer als der

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