Altstadtrebellen
Geräte, ich habe einen Schraubenzieher dabei, vielleicht können wir irgendwo heimlich was wegbauen. Finden wir dort nichts, schauen wir zum Werkzeug Kustermann, da liegt auch recht seltsames Zeug rum, vielleicht noch rüber zum Kaut-Bullinger. Und, ganz wichtig«, sagte ich noch, »da müssen wir unbedingt hin, seit 100 Jahren legendär, in die Schraubenzentrale. Da kriegst du jede Schraube dieser Welt.« Und weil die Auswahl so groß ist, sagte ich noch zum Elmar: »Setzen wir uns jetzt mal hin und trinken ein Bier.«
Das habe ich für mich im Laufe von vielen Jahren an Lebenserfahrung herausgefunden: Wenn die Auswahl groß ist, sollte man sich immer zuerst hinsetzen und ein Bier trinken. Bei mir funktioniert das wunderbar, nur in diesem Fall war es ein Fehler. Dieser Viktualienmarkt hat nämlich einen Riesennachteil. Und da fängt die eigentliche Geschichte erst an.
Die Isabella, meine einstige Lebensgefährtin, wollte immer mit mir reden. Und ich jetzt nicht so. Das ist wahrscheinlich in jeder Beziehung anders. Bei uns war es halt so rum. Sie wollte über sich reden, über mich reden, über unsere Beziehung reden, aber vor allem darüber reden, warum ich nicht reden will. Wochenlang habe ich überlegt, wie ich da irgendwie drum rum komme. Viel zu verkrampft habe ich überlegt, viel zu abstrakt, wie der Maler, der zu nah vor seinem Gemälde steht. Da hat man einfach keine Übersicht mehr. Doch irgendwann schien die Lösung zum Greifen nah: Essen mit Freunden. »Isabella, ich koch heut Abend was«, sagte ich zu ihr, »und wir laden die Müllers ein.« Es hat wunderbar funktioniert. Man sitzt zu viert da. Allgemeine Gespräche, politische Großwetterlage, habt ihr Das Parfum gesehen, habt ihr den Alchimisten gelesen, was habt ihr für einen Handytarif, essen, trinken, alle müde, auf Wiedersehen, Abend gerettet.
Ich war begeistert. Der Nachteil ist, ich kann nicht jedes Mal Fleischpflanzerl mit Kartoffelsalat machen. Zweimal habe ich sie gemacht, zweimal hat es funktioniert, aber ich habe mir gedacht, wenn ich die jetzt noch mal mache, dann kommen die mir nicht mehr. Weil die so gut auch nicht waren. Jetzt kommt der nächste Nachteil, so viele befreundete Ehepaare haben wir auch nicht gehabt. Ein paar schon, aber wenn man in Gedanken seine Liste an Bekannten durchgeht, fallen immer ein paar raus.
Da war so ein engagiertes Polit-Ehepaar. Die beiden waren das ganze Jahr im Wahlkampf und haben von nichts anderem als von ihrer Parteiarbeit an der Basis gesprochen. Das höre ich mir nicht an und mache nebenbei Fleischpflanzerl mit Kartoffelsalat. Es soll ja nicht schlimmer sein als mit Isabella allein.
Beleidigt, beleidigt, beleidigt
Dann kannten wir noch ein Ehepaar, aber da waren die Isabella und ich uns einig, die hatten überhaupt keine Chance, auch nur in die Vorrunde zu kommen: Die haben sich die letzten drei Jahre total verändert, waren am Schluss nur noch gesund. Da ist mir nichts zum Reden eingefallen und zum Kochen schon gar nicht. Wenn die das, was ich koche, auch nur riechen, wähnen die sich gleich auf der Intensivstation.
Dann hatten wir noch ein befreundetes Ehepaar, das hat der Isabella recht gut gefallen. Die haben nämlich immer so gern vom Urlaub erzählt, nicht nur, wie schön der letzte Urlaub war, sondern auch wie schön der nächste sein wird.
Und sie immer mit ihrem Satz: »Ich freu mich schon wieder so auf Mexiko.« Ich soll angeblich irgendwann zu ihr gesagt haben: »Ja, dann bleib halt dort, wegen mir brauchst du nicht zurückzukommen.« Da war sie beleidigt. Es gibt Menschen, die nie da sind, wo sie sind, weil sie immer dort sind.
Ich bin mir sicher, wenn die 14 Tage in Mexiko Urlaub machen, erzählen die irgendeinem Mexikaner, wie toll es doch in Bayern ist. Bis der Mexikaner wahrscheinlich irgendwann sagt: »Ja, dann fahr halt hoam. Wegen mir brauchst nicht dableiben!« Der Mexikaner sagt das vielleicht in einem anderen Dialekt, das ist möglich. Auf jeden Fall waren die beleidigt, haben die Mäntel angezogen, sind das Treppenhaus hinuntergelaufen.
Ich schimpfe dann gern noch ein bisschen hinterher. Da trau ich mich dann, ist ja eh schon egal. Ich glaube, ich habe den beiden noch eine Textaufgabe hinterhergerufen: »Nur mal ganz kurz, wo wart ihr noch mal? Dominikanische Republik? Hat für jeden von euch gekostet 2500 Euro. Habt ihr eigentlich gewusst, dass ein Bewohner dort ein Jahreseinkommen von 500 Euro hat? Jetzt eine Frage: Wenn er
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