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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Giebel
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jeder weiß, kriegt man das Zeug nicht mehr raus, das hängt in allen Ritzen. Und so, glaube ich sagen zu können, ist der Kümmler Ferdinand seit knapp zwei Jahren interkontinental unterwegs. War sicher nicht seine Absicht, aber reisen wollte er schon immer!
     
    Aber, wie gesagt, so bewohne ich nun schon seit einiger Zeit das Haus des einstigen Hausarztes vom Kümmler Ferdinand. Als ordentlicher Mensch sauge ich sehr gerne. Wenn ich schon mal da bin, wird gesaugt. Der Staubsauger ist sehr laut, und wenn ich sauge, höre ich kein Telefon, keine Klingel, nichts. Eine Art Auszeit. Nix Bolivien, saugen! Wobei ich gelesen habe, man solle nicht zu viel saugen, es könnte abhängig machen. Demnächst gibt es Saug-Informations-Suchtzentren. Wer weiß, wie viele anonyme Sauger da draußen rumlaufen.
     
    Das Saugen wird in meinem Wohnzimmer immer schwieriger. Wegen meiner fünf Säulen. Die stehen in der Mitte. Zwei mit Zeitschriften, drei mit Zeitungen. Ich habe sie im Halbkreis angeordnet, nach griechischer Art, dann sieht es so nach Kunst aus und nicht nach Abfall. Ich weiß, ich muss die wegschmeißen, aber so einfach geht das nicht. In denen stehen überall wichtige Artikel drin. Und gerade bei den Zeitschriften gilt es, verantwortungsvoll zu handeln. Man kann nicht einfach einen Stoß, so wie er ist, in die Papiertonne schmeißen. Es gibt zu viele neugierige Spaziergänger, die heben den Deckel der Tonne auf und rufen staunend: »Ohhh, Zeitschriften!«, nehmen eine heraus, blättern sie durch, und wie es der Zufall will, erwischen sie eine doppelseitige Hochglanzwerbung für einen Jeep. Das Gefährt steht im Abendrot mitten im Himalaja, an einer Stelle, an der nicht einmal ein Hubschrauber landen könnte, und wenn der neugierige Spaziergänger dann liest: »Monatliche Ratenzahlung 98 Euro«, murmelt er begeistert vor sich hin: »Dann habe ich den ja abbezahlt, wenn ich 98 bin!« Kauft den Jeep, stürzt sich in die Schuldenfalle, und das alles nur, weil ich achtlos Zeitschriften wegwarf.
     
    Nein, man sollte aus jeder Zeitschrift, bevor man sie wegwirft, gewissenhaft die gesamte Werbung entfernen und gesondert entsorgen. Bleiben wahrscheinlich sowieso nur vier Blätter übrig, aber egal.
     
    Tatsache ist, dass das Saugen dadurch immer schwieriger wird und ich mich deshalb derzeit wieder dem Keller widme. Den Keller aufräumen. Ich weiß nicht, seit wie vielen Jahren ich schon Keller aufräume. Keller aufräumen ist wie Rasen mähen, das Zeug wächst von unten nach. So kommt es mir jedenfalls vor. Wenn es wenigstens eine stupide Arbeit wäre. Man nimmt etwas, trägt es rauf, wirft es weg und fertig. Oben an der Kellertreppe denke ich es mir noch, so, Keller, jetzt geh her! Aber kaum bin ich unten, habe ich schon wieder irgendetwas prüfend in der Hand, alte Skistiefel, einen Holzelefanten oder einen Zinnteller aus Marokko, betrachte alles lange und sagen dann: »Nein, kannst du nicht wegwerfen!« Und ich weiß, dass ich dieses Teil nur jetzt in der Hand halte, vorher nicht, nachher nicht, nie wieder. Und dann bröseln sie dahin, meine guten Vorsätze, planlos gehe ich die noch begehbare Fläche des Kellers ab, und nach Tagen des Blätterns, Abwägens und Nichtentscheidens kommt dann vielleicht ein Müllsack zusammen. Den muss ich aber gleich verschließen, nicht mehr reinschauen, sonst geht das Ganze wieder von vorne los.
     
    Damit dieser Müllsack in die stets übervolle Tonne passt, steige ich jeden Dienstagmorgen vor der Leerung hinein und hüpfe und trample so lange darin herum, bis wieder etwas Platz ist. Das ist dummerweise genau der Moment, in dem mein Nachbar aus der Türe kommt, weil er ins Büro muss. Ich beende dann abrupt mein Hüpfen, was zur Folge hat, dass der Nachbar mich jeden Dienstagmorgen stehend in der Tonne sieht. Sonst nie. Der kennt mich nur vom Kopf bis zu den Knien.
     
    Wenn der mich weiterhin so ironisch grinsend ansieht, werde ich mir für den noch etwas einfallen lassen müssen.
     

Schwachstromelektroden im Bauchbereich
     
    Aber erst einmal hatte ich ja noch das Problem mit Elmar. Wenn ich für jemanden, den man seit zwölf Jahren nicht mehr gesehen hat, ein Ersatzteil besorgen muss, das ich noch nie gesehen habe, für eine Maschine, die ich hoffentlich nie sehen werde, in einer Stadt, die ich so nie sehen wollte, dann ist das für mich kein Privatleben mehr. Elmar. Hat er damals schon geheißen, heißt er immer noch. Wir waren dereinst in einer Wohngemeinschaft. Zu dritt. Elmar, ich

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