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Altstadtrebellen

Altstadtrebellen

Titel: Altstadtrebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Giebel
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wiederkommen, wundern sie sich am Flughafen: »Wo ist der rote Teppich, die Blasmusik, der Empfang, wo sind unsere Freunde?« Ich weiß schon, was sich die vorgestellt haben. Dass alle Freunde und Bekannten ein Jahr am Flughafen eng zusammen auf einer ganz schmalen Bank gekauert sitzen und warten. Und alle halbe Stunde sagt jemand mit bibbernder Stimme: »Meinst du nicht, dass sie wiederkommen?«, und ein anderer antwortet beruhigend: »Bestimmt!« Aber so ist das Leben eben nicht. Vor sich selbst flüchten kann man auch, ohne zu verreisen. Vielleicht sogar besser.
     
    Einer, der es, wäre er nicht gestorben, vermutlich geschafft hätte, ist der Kümmler Ferdinand. Frisch in Rente, wollte er nach Australien auswandern. Bei dem hätte es sicher funktioniert. In Australien wollte er ein kleines Geschäft eröffnen, um dort Kuckucksuhren zu verkaufen. Von denen hatte er eine ganze Menge, da er die ein Leben lang gesammelt hat. Obwohl er nie wusste, warum, aber irgendwie bildete er sich ein, alle sammeln irgendwas, da muss ich auch etwas sammeln. Und so entschied er sich für Kuckucksuhren. Damit hätte er in Australien eine Beschäftigung, seine Rente würde auch aufgebessert, und nicht jeder Australier müsste wegen einer Kuckucksuhr in den Schwarzwald fliegen. Ein guter Plan war das, dachte ich mir.
     
    Jetzt hatte der Ferdinand leider das Pech, dass den gesundheitlichen Rundumcheck nur die ärztliche Vertretung vornahm, da sich sein Arzt eine Auszeit im Himalaja gönnte. Übrigens derselbe, dessen Haus ich jetzt hütete und bewohnte. Und diese ärztliche Vertretung stellte in der Eile die Frequenz des Herzschrittmachers vom Kümmler Ferdinand falsch ein, so dass diese nicht mehr harmonierte mit den Bordcomputern der Boeing 747. Jetzt hat es also dem Kümmler Ferdinand auf dem Flug nach Australien die Hufe hochgehauen. Und die australischen Behörden sagten in Sydney: »So steigt uns der nicht aus!« Womit sie Recht hatten. Das konnte er auch nicht mehr. In einem schlichten Kunststoffsarg wurde er also zurückgeschickt, die Verwandtschaft hat ihn verbrannt, weil, das wussten alle, er sich das so gewünscht hatte. Aber ein Testament konnten sie nicht finden. Und die Asche in eine einfache Urne geben und beerdigen, das wollten sie nicht. Etwas Besonderes sollte es schon sein. Es waren ja auch besondere Leute. So empfanden sie sich zumindest, wie so viele in München, die am südwestlichen Rand, dem so genannten Speckgürtel leben. Doppeltiefgarage und Opernabonnement, solche Leute halt.
     
    Nach langen Beratungen mit verschiedenen Bestattungsinstituten entschieden sie sich schließlich für einen fünfzig Zentimeter großen Marmorhirschkopf. In dessen Nacken wurde ein großes Loch gebohrt, in das eine Sonderanfertigung einer Patronenhülse kam, in die die Asche vom Kümmler Ferdinand gefüllt werden sollte.
     
    Das ging im Familienclan nicht ohne Widerspruch durch, denn als der Hirschkopf noch ohne Ferdinand zur Besichtigung in der Mitte das Salons stand, erlaubte sich der Neffe Hans zu erwähnen: »Was soll denn der depperte Hirschkopf?« Er erntete entrüstete Blicke für seine unqualifizierte Bemerkung. Tante Else stemmte ihre Handrücken in ihre nicht vorhandenen Hüften und bemühte sich um ausgleichende Worte: »Wieso, das passt doch zum Ferdinand, der war doch Jäger!« Zustimmendes Gemurmel war zu vernehmen, doch der Querulant Hans erhob wieder seine Stimme: »Der war kein Jäger, der war Sammler!«
     
    Darauf schlug sich Tante Elses Gatte erinnernd an die Stirn. »Richtig, ein Sammler war er!«
     
    »Ja, natürlich …«, meinte Hans, »… der hat doch Kuckucksuhren gesammelt!«
     
    »Kuckucksuhren …«, meinte Tante Else wieder ausgleichend, »… dann tun wir ihn halt da rein!«
     
    Zum Glück fand man im Gepäck vom Kümmler Ferdinand dann doch noch einen letzten Willen. Ferdinands Wunsch war es, seine Asche aus dem Flugzeug heraus über Australien zu verstreuen, und zwar genau über diesem berühmten Felsen Uluru, auch Ayers Rock genannt. Nun flog also eine kleine Delegation der Verwandtschaft nach Australien. Als sich das Flugzeug über diesem Felsen befand, hatte der Flugbestatter gewisse Schwierigkeiten, die Bodenklappe des Flugzeugs zu öffnen. Er kannte augenscheinlich das Verschlusssystem nicht, ruckelte und rappelte panisch an der Klappe herum, riss sie dann doch mit einem Schlag auf, und durch den plötzlichen Aufwind streute ein guter Teil vom Kümmler Ferdinand zurück ins Flugzeug. Wie

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