Alvion - Vorzeichen (German Edition)
ist. Jeder Zal, den man traf, würde natürlich behaupten, dass seine Heimat jenes Handwerk mit Abstand am besten beherrschte, aber mit Prahlereien waren die Zal ja schon immer schnell bei der Hand. Wir Lyraner aber blieben, auch mit dem durch den Handel einkehrenden Wohlstand, das kleine, bescheidene und fröhliche Völkchen, mit eigenen Bräuchen und Gewohnheiten, das Ruhe und Frieden über alles stellte und niemals danach trachtete, seine Heimat zu verlassen und andere Völker zu unterwerfen. Wenn man uns jedoch zum Kampf zwang, wie es vor allem Piraten im Lauf der Jahrhunderte oft getan hatten – manchmal aber auch Kragier und Solier – so verstanden wir uns gut zu wehren und niemals in der Geschichte vermochte ein Feind unsere Heimat zu erobern. Abseits des großen Kontinents blieb Alyra unbeteiligt an den großen Kriegen, die in Velia scheinbar ohne Unterlass tobten. Außerdem verstanden wir uns als friedliches Volk ohne kriegerische Gelüste, das nur zu den Waffen griff, wenn es angegriffen wurde, sicherlich eine Nachwirkung des Verderbens, das unsere Vorfahren beinahe vernichtet hatte. Was uns erhalten blieb, war ein aufbrausender Charakterzug, doch das lyranische Volk besaß eine Vielzahl von Wettkämpfen und Ritualen, um Streitigkeiten ohne Blutvergießen aus der Welt zu schaffen. Eine Armee wie in Solien existierte auf Alyra nicht, stattdessen gab es bei uns Schulen und sogar eine Akademie der Wissenschaften, die jener in Vylaan kaum nachstand. Außergewöhnlich war sicherlich, dass jedes Kind auf Alyra drei Jahre zur Schule ging, um Lesen und Schreiben zu lernen und ein gewisses Grundmaß an Bildung zu erhalten, was ja weder in Septrion noch in Meridia üblich war und ist. In einigen schlummerte angeblich auch nach Jahrhunderten noch das magische Erbe der Lynen, doch auf Alyra gab es keine Magier und niemanden, der magische Fähigkeiten zu fördern gewusst hätte. Zwar hatte wohl vor ewigen Zeiten der Orden vom Seelenwald versucht, auch begabte Lyraner auszubilden und in seine Reihen aufzunehmen, doch alle Versuche scheiterten am allzu großen Heimweh der Schüler. Das feste Band, das jeden Lyraner an seine Heimat schmiedete, war eine große Besonderheit unseres Volkes, deren Natur niemand jemals hatte ergründen können. Doch seit jeher litt ein Lyraner bereits nach kurzer Zeit unter großem Heimweh, wenn er von seiner Heimat getrennt war. Immer wieder waren Lyraner auf Entdeckungsfahrten gegangen, oder auf Handelsschiffen in die Städte an den Küsten Velias gesegelt, und manche hatten sogar einige Zeit versucht dort zu leben, aber stets zog es sie nach einiger Zeit mit unwiderstehlicher Macht nach Hause zurück.
An diesem Ort, in einer kleinen Seitengasse von Genia wurde ich geboren und wuchs zwölf Jahre lang unbeschwert und glücklich auf.
Genia war eine große, stolze Stadt, und durch den Handel mit den Gütern der Insel reich geworden, doch dabei bescheiden und frei von protzenden Prunkbauten. Der Große Rat, der über die Stadt und die Insel regierte, achtete sorgsam darauf, dass Bescheidenheit und Sauberkeit der Stadt gewahrt blieb. Das Geld wurde lieber zur Förderung der Akademie und der Schulen eingesetzt, als in sinnlose Prachtbauten gesteckt. Dafür waren die Straßen allesamt gepflastert, selbst der Hafen sauber und kein Sammelpunkt für allerlei lichtscheues Gesindel, das ohnehin nicht geduldet worden wäre, und die Schiffe der Handelsflotte und der kleinen, aber starken Kriegsflotte wurden allesamt in bestem Zustand gehalten. Natürlich gab es auch einige herausragende Bauten in der Stadt, die den Reichtum und den Stolz Alyras widerspiegeln sollten, doch auch sie fügten sich nahtlos in die schlichte Schönheit der Stadt ein. Da wäre einmal das Versammlungsgebäude des Rates zu nennen, welches am großen Marktplatz im Zentrum der Stadt lag. Außerdem noch das Gebäude der Händlervereinigung, das genau gegenüber lag, und die berühmte Akademie der Stadt mit vielen großen Sälen und einer der besten Bibliotheken außerhalb Vylaans. Und dann gab es natürlich die kleineren Häuser am Marktplatz und entlang der breiten Hauptstraße hinunter zum Hafen. Dort wohnten die reichen Händler in ihren zwei- oder dreistöckigen Anwesen, die unterschiedlich, jedes einzelne aber kunstvoll, verziert waren. Abseits der Hauptstraße gab es ein Gewirr von schmalen Gassen, wo die Handwerker, die Seeleute, die Händler und die Gelehrten zumeist friedlich und ohne größere Konflikte
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