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Alvion - Vorzeichen (German Edition)

Alvion - Vorzeichen (German Edition)

Titel: Alvion - Vorzeichen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Thiering
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Anfang.
     
    Zunächst hatte der Feind ihnen tatsächlich einen Aufschub gewährt, den die Überlebenden der Schlacht hauptsächlich zum Schlafen genutzt hatten. Zu diesen hatte auch Tian gehört, dem es im Nachhinein immer noch wie ein Wunder vorkam, dass er keinerlei ernsthafte Verletzungen auf dem Schlachtfeld erlitten hatte, obwohl er nahezu durchgehend an vorderster Front gekämpft hatte. Sein Körper war zwar aufs Übelste zerschunden und von Wunden und Prellungen übersät, doch keine davon hatte sich als ernsthaft erwiesen. Als er schließlich innerhalb der Stadtmauern gewesen war, war er einfach vor der Stiege eines Hauses vom Pferd gestiegen und hatte bis zum Mittag des folgenden Tages auf dem harten Stein geschlafen. Das nunmehr herrenlose Tier wurde unterdessen eingesammelt und versorgt. Geweckt wurde Tian schließlich von einem kleinen Trupp Soldaten, die durch die Straßen zogen und die überall herumliegenden Krieger wachrüttelten. Es hatte mehrere Stunden, bis in den Abend hinein, gedauert, ehe wieder einigermaßen Ordnung in der Stadt herrschte. Die Verwundeten der Schlacht wurden versorgt, die Kampffähigen gesammelt und neu aufgestellt und die nachträglich Gestorbenen bestattet. Da der Feind noch keine ernstlichen Eroberungsversuche anstellte, war Tian, nachdem seine Wunden versorgt worden waren, noch eine Nacht Ruhe genehmigt worden, die er in einem verlassenen Haus auf einer durchgelegenen, zurückgelassenen Matratze verbrachte. Fast alle Bewohner der Stadt waren bereits vor der Schlacht geflohen, sodass sich eigentlich nur noch Soldaten in Theban aufhielten. Der Großteil von ihnen würde bald wieder so weit hergestellt sein, dass sie kampffähig waren, aber tausende waren so ernsthaft verwundet, dass sie Wochen brauchen würden, um sich zu erholen. Diese wurden sogleich in die innere Zitadelle gebracht, was ein deutlicher Beleg dafür war, dass der König und sein innerer Zirkel nicht daran glaubten, Theban halten zu können.
     
    Als Tian am folgenden Morgen, zwei Tage nach der Schlacht, über den breiten Wehrgang der Stadtmauern schritt, waren etwa dreißigtausend kampffähige Verteidiger in der Stadt und auf deren Mauern verteilt. Die Zählungen hatten ergeben, dass auf dem Schlachtfeld tatsächlich etwa sechzigtausend Argion ihr Leben gelassen hatten und noch einmal fünftausend innerhalb der Stadtmauern, entweder schwer verwundet oder tot, ausgefallen waren. Diejenigen, die Theban nicht mehr hatten erreichen können, fielen ebenfalls ins Gewicht, da sie nicht mehr in die Kämpfe eingreifen konnten. Etwa fünftausend, auch während der Schlacht in der Stadt verbliebenen Krieger, glichen deren Fehlen annähernd aus. Was Tian nun, linker Hand des Südtores auf der Mauer stehend, von den ersten Strahlen der Morgensonne beschienen, vor sich sah, war ein Ort des absoluten Grauens. Weder die Verteidiger noch die Angreifer hatten sich um die Leichen auf dem Schlachtfeld gekümmert, sodass sich vor ihm nun ein endloses Feld, bedeckt mit toten Körpern, erstreckte. Der Anblick selbst war eigentlich schon zu viel für Tian, aber der durchdringende Verwesungsgestank, der von dort aufstieg, sorgte dafür, dass er sich auf der Stelle würgend über die Stadtmauer übergab. Er merkte, dass sich die Hand eines Mitfühlenden auf seine Schulter legte und ihm schließlich, als er nur noch würgte, aber nichts mehr herauskam, ein weißes, mit Kampfer getränktes Tuch auffordernd unter die Nase hielt.
    „ Bindet Euch das vor Mund und Nase, es wird Euch zumindest gegen den Gestank helfen.“
    „ Danke!“ brachte Tian kraftlos hervor, band sich das Tuch um und blickte schließlich den Mann an, der neben ihm stand. Anders als Tian, der einen roten Waffenrock über seinem Kettenhemd trug, war der Soldat in einen blauen Waffenrock mit edler goldener Stickerei auf der Brust gekleidet, was ihn als Angehörigen der königlichen Leibgarde auswies. Sein Gesicht war von einem schwarzen Vollbart bedeckt, seine bläulich schimmerte Haut war von Falten durchzogen und in seinen grünen Augen erkannte Tian einen Ausdruck, der besagte, dass jener Mann den Anblick dieses riesigen Schlachtfeldes nie wieder vergessen würde. Da er durch das feuchte Tuch den beißenden Verwesungsgestank nicht mehr einatmen musste, gelang es Tian schließlich auch, wieder auf das Feld zu blicken. Doch auch ihm wurde in diesem Moment klar, dass er die teilweise zu dutzenden übereinandergestapelten Leichen, zum Teil auf grausame Art verrenkt

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