Alvion - Vorzeichen (German Edition)
oder verstümmelt, nie wieder vergessen würde.
„ Während der ersten Nacht war es besonders schlimm“, sagte der neben ihm Stehende in leisem, fast gebrechlichem Ton. „Tausende waren noch am Leben und schrien stundenlang ihre Qualen in die Nacht hinaus und wir konnten nur wenige bergen, weil immer wieder Berittene auftauchten und solche Bergungskommandos sofort angriffen. Bei Tageslicht konnten wir noch ein paar Verwundete lebend in die Stadt holen, aber gegen Abend verstummten dann allmählich die letzten Schreie. Nie in meinem Leben werde ich vergessen, was sich hier abgespielt hat!“
„ Ich ebenso wenig, das könnt Ihr mir glauben! Obwohl ich während des Kampfes so gut wie nichts mehr wahrgenommen habe.“
„ Das ist nur natürlich. Euer Gehirn hat Euch beschützt und sich selbst in eine Art Starre versetzt, sonst wärt ihr vermutlich auf der Stelle wahnsinnig geworden. Oh, verzeiht, mein Name ist übrigens Benesias“, stellte er sich vor, ehe er weiter sprach. „Ich sehe, dass Ihr Offizier seid, wo habt Ihr gekämpft, wenn ich fragen darf?“
Tian war froh über die Ablenkung, die ihm das Gespräch bot, denn so musste er nicht stumm auf die Leichenberge blicken.
„ Selbstverständlich, Benesias!“, erwiderte er. „Ich bin übrigens Tian Lux. Meine Kavallerieabteilung griff vom Westen her an und kämpfte schließlich auf dem rechten Flügel.“
„ Ein Reiter?“, fragte Benesias fast mitfühlend. „Es muss Euch schwerfallen, nun hier auf den Mauern zu stehen und nicht mehr den Platz auf dem Felde mit Eurem Pferd zum Sturmangriff nutzen zu können.“
„ Um ehrlich zu sein, Benesias, ich habe gestern den ersten Reiterangriff meines Lebens geführt. Was mir den Befehl einbrachte, war die Tatsache, dass ich in meinem Leben schon Kampferfahrung gesammelt habe, bevor dieser unselige Krieg ausbrach. Mich stört es persönlich nicht, auf den Mauern zu kämpfen, einzig die Tatsache, dass wir uns nun auf das Verteidigen beschränken müssen, belastet mich schwer.“
„ Da stimme ich Euch zu, Tian, doch leider sind wir zahlenmäßig nicht mehr in der Lage, uns zur offenen Schlacht zu stellen, auch wenn wir uns vor zwei Tagen hervorragend geschlagen haben!“
Tian erwiderte nichts, sondern sah ihn nur fragend an, denn er hatte noch nichts über feindliche Verluste gehört.
„ Nun“, fuhr Benesias nicht ohne Stolz in der Stimme fort, „es sind zwar nur Schätzungen, aber der Feind erlitt Verluste, die weit mehr als doppelt so hoch wie unsere waren, vor allem zu Anfang. Der Überraschungsangriff von den Seiten, den ihr mitgeführt habt, sorgte für die Einschließung des ersten Drittels der feindlichen Streitmacht. Es wurde komplett aufgerieben! Der Feind hatte nach zwei Stunden bereits an die achtzigtausend Tote zu beklagen!“
„ Was hilft es uns?“, fragte Tian mit Bitterkeit in der Stimme. „Unsere Verluste wiegen bei weitem schwerer!“
Die Eroberungsversuche hatten am nächsten Tag begonnen und hielten seitdem durchgehend an. Zunächst waren rund um die Stadt die feindlichen Truppen angetreten und gerade so nahe an die Stadt herangekommen, dass sie noch außerhalb der Reichweite von Pfeilen blieben. Dann war das Belagerungsgerät herangeschafft worden, die Katapulte, Katapultschleudern, beides in verschiedenen Größen, die größten schleuderten so gewaltige Felsbrocken, dass sie ein Haus dem Erdboden gleichmachen konnten. Dazu kamen Sturmdächer, fahrbare, Häusern ähnliche Gerätschaften, mit einem gewaltigen Rammbock, der im Inneren an Ketten hing, mehrstöckige Belagerungstürme, die an verschiedentlich hohe Mauern heran geschoben werden konnten, da sie mehrere Enterbrücken besaßen und natürlich die Maschinen, die ganze Salven von Pfeilen auf einmal verschießen konnten. Überall hinter den feindlichen Linien stiegen Rauchsäulen in die windstille Luft hinauf. Dort wurden Pech und Naphta erhitzt, um sie als brennende Masse in die Stadt zu schleudern, die sich wie ein Teppich über eine bestimmte Fläche legen würde. Hinter den Stadtmauern geschah genau das Gleiche, auch dort waren die Schleudern und Katapulte aufgestellt und einsatzbereit gemacht worden, überall war deren Munition aufgestapelt und hunderte von Pferden gezogene Karren rollten durch die Straßen der Stadt und brachten Nachschub an Munition. Im höchsten Turm der Stadt hatten sich die Magier und ihre Schüler versammelt, um gemeinsam einen möglichst wirksamen magischen Schild um die Stadt zu legen, an
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