Alvion - Vorzeichen (German Edition)
es allmählich eng zu werden drohte. Tian ließ sich erschöpft ins Gras sinken und bemerkte auf einmal wieder, wie hungrig und durstig er war, denn keiner von ihnen hatte Vorräte mitgenommen, als sie überstürzt geflohen waren. Das Einzige, was er, wie alle anderen auch, in den vergangenen Tagen zu sich genommen hatte, war schluckweise Wasser aus seiner nun leeren Feldflasche am Gürtel, sodass alle mittlerweile halb verhungert und verdurstet waren. Im gleichen Moment ließ sich Nathan erschöpft neben Tian ins Gras fallen.
„ Ich werde einige Freiwillige losschicken, die sich kräftig genug fühlen, um die Gegend auszukundschaften. Wir brauchen schnellstens Wasser und etwas zu essen, einige der Männer sehen schon arg mitgenommen aus.“
„ Und dann?“, fragte Tian. „Was machen wir dann? Es sind noch einmal mehr als hundert Meilen bis in die Wälder. Sollen wir die auch noch laufen? Ich bin sicher, dass wir damit einige Schwierigkeiten hätten, denn mit Sicherheit durchstreifen bereits größere Schwadronen das Land, auf der Suche nach Versprengten, wie uns.“
„ Hier in der Nähe muss ein kleines Dorf oder eine kleine Stadt sein, wo sich hoffentlich Pferde auftreiben lassen. Man hat damals schon daran gedacht, dass Fliehende nach der Durchquerung des Ganges in Eile sein könnten. Mit etwas Glück finden wir dort alles, was wir benötigen. Vielleicht haben wir nicht genügend Pferde für alle, aber ein Teil könnte bereits reiten und von unterwegs mit weiteren Pferden zurückkehren.“
„ Und wenn doch keine Pferde dort sind?“
„ Dann laufen wir eben, Tian! Bleibt uns denn eine andere Wahl?“
Das Glück war ihnen jedoch gewogen, denn die ausgesandten Kundschafter hatten nicht weit entfernt die Ortschaft gefunden, die Nathan gemeint hatte. Sie lag nicht einmal drei Meilen entfernt hinter einem Hügel und einige der älteren Bewohner hatten sich geweigert, ihr heimatliches Dorf zu verlassen. Als die erschöpften Soldaten dort ankamen, waren die wenigen verbliebenen Einwohner bestürzt über die Nachrichten, die sie überbrachten. Sofort waren die Vorräte des Dorfes an die müden Krieger verteilt und die Öfen angeheizt worden, um Suppe zu kochen und Brot zu backen. Außerdem waren ihnen sämtliche Pferde der Siedlung zur Verfügung gestellt worden, die aber nur für einen Bruchteil der Krieger ausreichten. Während sie ihren Hunger stillten, beschlossen Tian und Nathan, die sich nach wie vor die Führung der Fliehenden teilten, dass Tian den ersten Trupp zu den Wäldern führen würde, während Nathan sich mit dem Rest versteckt halten wollte.
Drei Tage später hatte der erste von Tian angeführte Trupp die Wälder erreicht und war schnell auf weitere Krieger getroffen, die sich dort überall verbargen und den Waldrand im Auge behielten. Einige Stunden wurde Rast gemacht, aber noch am gleichen Tag brach Tian mit wenigen Männern, dafür umso mehr Pferden wieder auf und zog Nathan entgegen. Nochmals einige Tage später waren auch die letzten Krieger aus der inneren Zitadelle am Ende ihrer Flucht angelangt und zumindest vorläufig in Sicherheit.
An jenem Abend standen Tian und Nathan am Rande des Waldes und schüttelten sich die Hände.
„ Ich kann Euch nicht zum Bleiben überreden, Tian? Wir könnten Euch hier brauchen, wenn wir den Widerstand gegen die Besatzer organisieren.“
„ Nein, Nathan, ich muss nach Norden reiten und nachsehen, wie es meiner Familie ergangen ist. Danach werde ich über die Berge gehen und versuchen Hilfe aus Solien oder Zal zu holen. Ich werde nicht zulassen, dass man dort einfach wegsieht, wenn es um unser Schicksal geht!“, fügte er trotzig hinzu. „Ich befürchte aber, die Meridianer werden die Wälder Argions vollständig niederbrennen, seid also auf der Hut, Nathan!“
„ An’maa möge Euch Lügen strafen, Tian, aber ansonsten mit Euch sein! Ich verstehe trotzdem nicht, warum Ihr nicht bei uns bleibt“, erwiderte Nathan.
„ Ich danke Euch, Nathan! Aber ich muss das Gefühl haben, etwas zu tun! Ich könnte mich niemals hier verstecken, außerdem war ich seit jeher ein Einzelgänger.“
„ Wer weiß schon, was die Götter mit Euch vorhaben, Tian“, sinnierte Nathan nachdenklich vor sich hin. „Ich hoffe, wir sehen uns eines Tages im befreiten Argion an einer festlich gedeckten Tafel wieder. Lebt denn wohl!“
„ So sei es!“, antwortete Tian und ließ Nathans Hand los. Dann bestieg er das neben ihm wartende Pferd und lenkte es langsam
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