Alzheimer und Demenzen
abzuwehren. Aus psychologischer Sicht gibt es auch viele gute Gründe, einen solchen psychisch-emotionalen Abwehrmechanismus anzunehmen. Denkt man einmal darüber nach, warum es manchen Menschen – und dazu zählen nicht nur Demenzkranke – so schwerfällt, eigene Schwächen, Misserfolge oder Fehler einzugestehen, stellt man fest, dass oftmals ein tief sitzendes Selbstwertproblem die Ursache ist.
Rechthaberei als Selbstschutz
Bei jüngeren, gesunden Menschen liegen die Wurzeln dieses Problems wahrscheinlich schon in der Kindheit und diese sind möglicherweise schon lange vergessen bzw. verdrängt. Ihr Selbstwertproblem ist ihnen daher vielleicht gar nicht bewusst, aber es wirkt sich tagtäglich auf ihr Leben aus: Das Gefühl, ein wertvoller Mensch zu sein, steht bei ihnen auf sehr wackeligen Füßen. Sie können es nur dann aufrechterhalten, wenn sie sich selbst immer sagen können, dass sie nichts falsch gemacht haben. Alle Situationen, die ihnen zeigen könnten, dass sie doch mal einen Fehler gemacht haben, bewerten sie – aufgrund ihres Selbstwertproblems – als gefährliche Bedrohung. Nun kann man sich fragen, ob die Bezeichnung »gefährliche Bedrohung« nicht ein bisschen übertrieben ist, aber aus psychologischer Sicht ist das nicht der Fall!
Schwäche zugeben ist ein Zeichen für Stärke
Es scheint ein Urtrieb des Menschen zu sein, das Gefühl wertvoll zu sein, aufrechtzuerhalten, sei es auch noch so schwach ausgebildet. Immerhin kann ein Mensch ohne dieses Grundgefühl nicht überleben. Wer als Kind nicht lernen konnte, dass jeder Mensch, unabhängig von seinen Fähigkeiten, seinem Äußeren und seinem Vermögen wertvoll ist, der wird immer das Gefühl haben, er müsste sich seinen Selbstwert erarbeiten und er wird immer fürchten, er könne ihn verlieren. Er wird dazu tendieren, seinen Selbstwert »mit Klauen« gegen alles zu verteidigen, was ihn zu bedrohen scheint. Diesen schwachen Kern wird er also zu schützen suchen mit einem harten Panzer aus »Fehlerlosigkeit«, Rechthaberei und vermeintlicher Stärke.
WISSEN
Hirnorganische Gründe
Es gibt eine hirnorganische Ursache für die mangelnde Krankheitseinsicht bei Demenzkranken. SPECT-Untersuchungen (→ S. 20 ) zeigten, dass Anzeichen von Anosognosie ebenfalls mit Störungen und Beeinträchtigungen im Frontalhirnbereich einhergehen. Die Erklärung der Anosognosie als einer komplexen geistigen Störung mit frontalem Schädigungsmuster wird auch durch Langzeitbeobachtungen bestätigt. Sie zeigen, dass eine angemessene Krankheitswahrnehmung bei demenzkranken Menschen im weiteren Verlauf ihrer Erkrankung abnimmt, vermutlich in dem Maße, in dem der Abbauprozess im Stirnhirnbereich fortschreitet.
Uneinsichtigkeit ist »gesunde Verdrängung«
Wenn man durch diese psychologische Brille blickt und in der Unfähigkeit, eigene Schwächen einzugestehen, einen Schutzpanzer für ein schwaches Selbstwertgefühl erkennt, kann man auch mehr Verständnis und Mitgefühl für einen Demenzkranken aufbringen, der ja tagtäglich erleben muss, dass er immer mehr »Fehler« macht. Auch wenn diese Erlebnisse bei manchem demenzkranken Menschen nicht unbedingt zu bewusstem, reflektiertem Wissen von der eigenen Demenzerkrankung führen, so spüren die meisten Kranken doch, dass sich etwas bei ihnen verändert und diese Veränderungen nicht gerade zum Besseren führen. Dieses Erleben stellt eine Kränkung und eine massive Bedrohung für den Selbstwert des Kranken dar. Seine Abwehrreaktionen und »Rechthabereien« sind also in diesem Sinne ganz »gesunde« Reaktionen, denn sie sind Zeichen für seinen Willen zu überleben!
Auch bei diesem Symptom gilt, dass ich als Angehörige besser mit der eingeschränkten Einsichtsfähigkeit des Demenzkranken leben kann, wenn ich mir vor Augen führe, dass es sich um die Folge einer Krankheit oder einen unwillkürlichen Schutzmechanismus handelt und nicht um eine bewusste Eigenart, die er einsetzt, um mir das Leben schwer zu machen.
Wie soll ich auf sozialen Rückzug reagieren?
In dem – nicht immer bewussten – Erleben, kontinuierlich weniger zu können, immer weniger zu wissen und immer weniger zu verstehen, ziehen sich viele Demenzkranke zunehmend von der Außenwelt zurück, bleiben lieber in ihrem vertrauten Umfeld, den bekannten Räumen, unter den vertrauten Menschen. Denn alles Fremde macht ihnen Angst, alles Bekannte gibt ihnen Sicherheit. Dieser Rückzug ist ein ganz normaler Selbstschutz!
wichtig
Da einem Demenzkranken
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