Alzheimer und Demenzen
ängstlich und suchen Schutz. Auf die eine oder andere Art wird jeder Erkrankte reagieren!
Ein weiterer Grund für Persönlichkeitsveränderungen und -auffälligkeiten muss jedoch wiederum in hirnorganischen Veränderungen gesucht werden. Denn man weiß mittlerweile, dass bei der Steuerung und Regulierung von Persönlichkeitsmerkmalen und Wesenszügen offensichtlich eine bestimmte Gehirnregion eine besondere Rolle spielt, die im vorderen Bereich der Großhirnrinde – also im Stirnbereich – liegt, weshalb sie auch Frontalhirn bzw. Stirnhirn genannt wird (→ S. 15 ).
Kommt es in dieser Region zu starken Abbauprozessen und Botenstoff-Veränderungen (man spricht in diesem Fall von einem Frontalhirn-Syndrom), geht dies mit starken Persönlichkeitsveränderungen der betroffenen Personen einher.
Persönlichkeitsveränderungen sind sehr belastend
Für mich als Angehörige sind diese Veränderungen häufig deshalb so belastend, weil es mir oft schwerfällt, sie als wirkliche Krankheitszeichen zu akzeptieren. Folgender Vergleich mag das verdeutlichen:
Wenn mein Familienmitglied z. B. fortwährend hustet, kann ich als Angehörige das leicht als Krankheitszeichen (z. B. für eine Infektion der Bronchien) akzeptieren. Denn ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn man aufgrund einer Erkrankung unter Hustenreiz leidet, den man nicht unterdrücken kann. Auch wenn mich die Hustengeräusche des anderen auf die Dauer stören, scheint das mein Wissen, dass der Kranke diese störenden Geräusche ja nicht mit Absicht produziert und somit überhaupt nichts dafür kann, meine Akzeptanz zu steigern. Die Schuldlosigkeit des Kranken und die Einsicht, dass er selbst darunter leidet, dienen als Entschuldigung: Statt Ärger ruft das Krankheitszeichen »Husten« Mitgefühl und Fürsorge hervor.
Es ist keine Absicht!
Anders ist es aber, wenn mein demenzkrankes Familienmitglied immer wieder aggressiv, weinerlich, distanzlos oder anzüglich wird. Es ist für mich als Angehörige viel schwieriger, diese Verhaltensänderungen als Krankheitszeichen zu akzeptieren, für die der Kranke nichts kann und unter denen er selbst leidet. Oft keimt in mir die Annahme, dass der Kranke sich sehr wohl absichtlich so verhält oder es zumindest in seiner willentlichen Macht liegt, sich zu beherrschen und seine Impulse zu unterdrücken.
TIPP
Ablenken oder darüber hinweg gehen
Insofern verdienen diese Persönlichkeitsveränderungen Mitgefühl und – letztendlich – Verständnis. Wenn ich als Angehörige um das Unverschuldetsein dieser Verhaltensauffälligkeiten weiß, kann ich Situationen teilweise auch entschärfen: Indem ich nicht mehr darauf bestehe, dass der Kranke sein aus meiner Sicht unangemessenes Verhalten verändert, kann ich ihn möglicherweise durch Ablenken von seinem Tun abhalten und sein Handeln in andere Bahnen lenken. Wenn ich auf diese Weise bewirken kann, dass die Atmosphäre zwischen uns entspannt bleibt, beruhigt sich der Kranke möglicherweise und zeigt das belastende Verhalten seltener.
Ich bezichtige ihn also insgeheim, dass er sich einfach nicht mehr beherrschen will oder er überhaupt keinen Wert mehr auf Benehmen und Feingefühl legt. Erst wenn ich weiß, dass auch diese Veränderungen durch Störungen des Gehirns verursacht werden, kann ich akzeptieren, dass sich der Kranke bei einem frontalhirnbetonten Abbau nicht mehr beherrschen kann. Wahrscheinlich belasten mich als Angehörige diese Veränderungen noch immer, aber sie lösen in mir nicht mehr so stark Wut und Ärger aus.
Gefühle und Verhalten können nicht kontrolliert werden
Wenn er sich ärgert, platzt er mit seinem Ärger in aggressiver Weise hinaus, wenn er traurig wird, beginnt er hemmungslos zu weinen, wenn er ängstlich ist, läuft er seiner Bezugsperson hinterher, wenn ihn die Zahnprothese stört, nimmt er sie heraus – auch wenn er in einem Restaurant mit anderen Menschen sitzt. Wenn er Kontakt sucht, spricht er einfach einen Fremden an, wenn er eine andere Person anziehend findet, versucht er sie zu berühren usw. Für diese Hemmungslosigkeit, die man auch als Enthemmtsein bezeichnet, kann der Kranke nichts. Es ist nicht willentlich steuerbar. Und wahrscheinlich würde der Kranke selbst darunter leiden bzw. sich sogar für sein Verhalten schämen, wenn er noch mit einem Blick auf die Situation erfassen könnte, was er da tut.
Oft verstärken sich alte (unliebsame) Persönlichkeitszüge
Von Persönlichkeitsveränderungen spricht man nicht nur dann,
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