Alzheimer und Demenzen
sich dies illustrieren:
»Paul kann heute nicht ganz pünktlich kommen. Er muss erst seinen kleinen Bruder in den Kindergarten bringen, bevor er zu uns kommt.«
Das Wort »er« im zweiten Satz gewinnt seine Bedeutung rückbezüglich, denn es bezieht sich zurück auf »Paul«. Wenn ich diese beiden Sätze höre, weiß ich nur dann, wer zu uns kommt, wenn meine Gedächtnisspanne groß genug ist, um mir den ersten Satz zu merken, bis ich den zweiten verstanden habe. Ist aber die Information, dass Paul heute nicht pünktlich kommt, gleich wieder zerfallen, weil mein Kurzzeitgedächtnis diese Information nicht festhalten kann, dann weiß ich auch nicht, wer dieser »er« ist. Und genau so ergeht es einem Demenzkranken, dessen Kurzzeitgedächtnis stark beeinträchtigt ist!
Wiederholen Sie die Namen!
Um dem Kranken das Verstehen zu erleichtern, ist es also sehr förderlich, wenn ich das Subjekt immer wieder explizit benenne. Dies mag zwar manchmal ein bisschen holprig klingen und muss auch trainiert werden, da es nicht dem alltäglichen Sprechen entspricht, aber es ist ja nicht mein Ziel, einen Rhetorik-Wettbewerb zu gewinnen, sondern mich mit meinem demenzkranken Familienmitglied zu verständigen trotz seiner Sprach- und Gedächtnisbeeinträchtigungen. Das klingt dann z. B. so:
»Wir können heute Nachmittag um 3 Uhr zu Dr. Wenig gehen. Dr. Wenig hat bis dahin noch einige andere Termine, doch wenn wir um 3 Uhr kommen, hat Dr. Wenig Zeit für uns. Vielleicht kann dir Dr. Wenig dann auch noch gleich deine Spritze geben.«
Nicht plötzlich das Thema wechseln
Abrupte Themenwechsel innerhalb eines Gesprächs erfordern vom Zuhörer ein schnelles Erfassen. Er muss sehr schnell begreifen, dass das erste Thema nun beendet ist und schon ein ganz neues Thema im Fokus der Aufmerksamkeit steht. Jedes Thema hat seinen eigenen Kontext: Wenn man z. B. das Thema »Urlaub« anspricht, dann ruft das Bilder undVorstellungen von Sonne, Meer, Wandern und Erholung hervor. Es wird also ein ganzer Themenkomplex aktiviert.
Noch einmal soll hier der Vergleich mit dem Archivar in unserem geistigen Lexikon erfolgen (siehe → S. 63 ): Wenn ein Thema angesprochen wird, ist es, als würde der Archivar im geistigen Lexikon die entsprechende Schublade öffnen. In dieser »Urlaubs-Schublade« befinden sich auch weitere Vorstellungen und Begriffe, die der betreffende Mensch mit dem Begriff »Urlaub« verbindet: z. B. Sonne, Meer usw. Bei abruptem Themenwechsel muss der Archivar schnell die alte Schub lade schließen, sich orientieren, wo die neue Themen-Schublade ist, dorthin eilen und sie öffnen.
Vergleicht man einige Sprachprobleme Demenzkranker mit den Störungen, die auftreten, wenn der Archivar erkrankt ist, wird die demenzbedingte Unfähigkeit, schnellen Themenwechsel folgen zu können, nachvollziehbar: Es dauert viel zu lange, bis der kranke Archivar die alte Schublade schließt. Oder aber er schließt sie überhaupt nicht, weil er gar nicht mitbekommen hat, dass er die Schubladen wechseln soll, und sucht noch immer in der alten Schublade nach möglichen Zusammenhängen, die dort aber nicht zu finden sind!
Wenn ich mein demenzkrankes Familienmitglied also mit folgender Äußerung konfrontiere, wird der Kranke aufgrund meines schnellen Themenwechsels wohl kaum begreifen, was ich von ihm möchte:
»Heute Vormittag habe ich übrigens die Nachbarin im Supermarkt getroffen. Sie sagt, ihr Mann sei sehr krank gewesen. – Sag mal, was willst du heute Abend eigentlich essen?«
Unter gesunden Sprechern sind solche fliegenden Themenwechsel ganz normal, obwohl es auch hier zu Missverständnissen kommen kann. Für viele Demenzkranke sind sie unmöglich nachzuvollziehen!
Themen behutsam wechseln
Um solche Verwirrungen nicht aufkommen zu lassen, bemühe ich mich als Angehörige, den Themenwechsel langsam und behutsam zu vollziehen. Darüber hinaus ist es sinnvoll, Themenwechsel anzukündigen und den Kranken »an die Hand zu nehmen« und zum neuen Thema zu führen. Satz für Satz nehme ich die Situation »auseinander« und füge sie zu einem Ganzen zusammen. In dem obigen Beispiel könnte ich als Angehörige also Folgendes sagen:
»Heute Vormittag habe ich die Nachbarin, Frau Müller, getroffen. Die Nachbarin sagt, ihr Mann, der Herr Müller, sei sehr krank gewesen. Mehr habe ich aber nicht mit ihr gesprochen. [Pause]. Jetzt möchte ich gerne über etwas ganz anderes mit dir reden. Nämlich über etwas, was uns beide angeht. Ich möchte nämlich
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