Am Abend des Mordes - Roman
nicht darüber, aber sie merkt, dass er in diesen Bahnen denkt.
Gleichzeitig weiß sie, dass es so nicht weitergehen wird. Dieser Sommer und die ganze Situation müssen irgendwann ein Ende haben, vielleicht gleichzeitig, es gibt Zeichen, die darauf hindeuten. Was für Zeichen, kann man sich fragen, aber die Muti-Stimme spricht zwei Mal zu ihr und erinnert sie.
Daran, dass alles seine Zeit hat. Daran, dass früher oder später irgendjemand Harry finden wird. Trotzdem geht sie nicht in den Wald und versteckt ihn etwas besser; der Gedanke, es zu tun, taucht ab und zu zwar auf, aber dann kommt es ihr jedesmal so vor, als würde alle Kraft aus ihr gesaugt. Dazu kann sie sich nicht überwinden. Es ist besser, das Schicksal seinen Lauf nehmen zu lassen.
Im Nachhinein, dreiundzwanzig Jahre später in Ragnhilds Pension – oder Monas Pension, denn sie bevorzugt diesen Namen, einer Ragnhild ist sie nie begegnet –, findet sie manchmal, dass sie sich hätte zusammenreißen sollen. Als in jenem Sommer aus Tagen Wochen wurden, hätte sie in irgendeiner Nacht mit dem Spaten in den Wald gehen und dafür sorgen sollen, dass ihr Mann ordentlich unter die Erde kommt. Sechs Fuß tief, oder wie viele es sein sollten.
Aber hinterher ist es leicht, etwas zu meinen und zu denken und geschäftig zu sein, es kam, wie es kam, weil es unvermeidlich gewesen ist. Die Dinge müssen ein Ende haben, und als im August der Tag gekommen ist, empfindet sie denn auch weder Verbitterung noch Reue. Im Nachhinein fällt es ihr manchmal schwer, das zu verstehen, aber so ist es gewesen.
So ist es. Der Sommer geht weiter. Sie und Billy haben frei, sie haben nur einander, und es ist eigenartig, wie leicht und einfach plötzlich alles läuft. Vor allem, da Göran, und sogar Ingvor, so hilfsbereit sind. Ja, eigenartig ist das richtige Wort.
Ihr Bruder und seine Frau kommen zu Besuch. Gunder und Lisbeth, die beiden kommen gerade von der Insel Öland. Das hat es noch nie gegeben, sie bleiben sogar über Nacht. Sie unterhält sich die meiste Zeit mit Lisbeth, mit dem Bruder ist ihr das immer schwergefallen. Aber sie essen gemeinsam zu Abend und trinken eine Flasche Wein. Billy sitzt mit am Tisch, und Lisbeth versucht mehrmals, sich mit ihm zu unterhalten, und verbringt sogar kurze Zeit alleine mit dem Jungen in seinem Zimmer.
Monate später erscheint ihr dies plötzlich bedeutungsschwer.
Als hätte sie Bescheid gewusst.
Aber das kann natürlich nicht sein.
Sechs Gäste. Aber da sie selbst und Mona auch essen, wenngleich ungestört in der Küche, sind sie eigentlich zu acht.
Wildragout mit kleinen Kartoffeln. Ein Klassiker und in etwa das, was die Gäste erwarten; das Wilde im Ragout kann aus allem Möglichen bestehen. Hauptsache, man serviert es mit Preiselbeeren, Gurke und Silberzwiebeln.
Sie hat die Gäste vorher begrüßt, auch Kriminalinspektor Barbarotti. Die anderen fünf sind ein junges Paar aus Stockholm sowie eine deutsche Kleinfamilie mit einem zehnjährigen Sohn. Die Familie ist fast eine ganze Woche hier gewesen und wird am folgenden Tag weiterreisen. Es ist unklar, wohin, vielleicht in Etappen zum Nordkap, die Deutschen nehmen häufig diese Route.
Doch nun sitzt sie mit Mona in der Küche und isst. Der Mann von der Kripo, mit dem sie in Kürze sprechen wird, sitzt draußen allein an einem Tisch. Sie ist nicht sonderlich besorgt, aber es ist trotzdem gut zu wissen, dass Mona in der Nähe ist. Für den Fall, dass etwas schieflaufen sollte. Sie weiß nicht richtig, was sie mit diesem Gedanken meint, verzichtet aber darauf, ihn näher unter die Lupe zu nehmen. Fragt stattdessen Mona, ob sie findet, dass im Ragout genug Wacholder ist.
Aber immer, sagt Mona und zwinkert ihr zu. Du bist doch nicht etwa nervös, Kleines?
Nicht die Bohne, antwortet Ellen, und dann lachen sie gemeinsam auf eine Art, die sie an dieses Kinderkirchenlied denken lässt. Geborgener kann niemand sein .
Sie hat Mona nie erzählt, dass ihr Lachen diese Wirkung auf sie hat, aber das muss sie auch nicht. Mona weiß es auch so. Mona weiß, genau genommen, im Großen und Ganzen, alles, und manchmal hat Ellen gedacht, dass es das Beste wäre, wenn sie für immer hier heraufziehen könnte.
Aber es ist wichtig, zeitweise auch nicht hier zu sein. In erster Linie vielleicht, um zurückkommen zu können, außerdem haben sie eine solche Lösung nie wirklich ernsthaft in Betracht gezogen. Hauptsache, sie weiß, dass sie immer willkommen ist.
Und sie ist ja auch keine Bürde. Sie
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