Am Abend des Mordes - Roman
aber er war ja Elektriker.«
»Sie sagen war ?«
»Ich glaube nicht, dass er heute Elektriker ist, falls er noch leben sollte.«
»Und warum nicht?«
Sie zuckt mit den Schultern, bleibt aber stumm.
»Okay. Aber das Handy hatte er mitgenommen?«
»Ich nehme es an. Es wurde jedenfalls nie gefunden.«
»War es vorher schon einmal vorgekommen, dass er einen Tag fortblieb? Oder mehrere?«
»Mehrere nicht.«
»Aber Sie fuhren in die Stadt und kontrollierten, ob er dort war?«
»Sicher.«
»Wann war das?«
»Am Mittwoch.«
»Dem Tag, an dem Sie die Polizei verständigten?«
»Ja. Als mir klar wurde, dass er auch nicht in der Wohnung gewesen war, rief ich an. Das steht doch sicher alles in den Verhörprotokollen, die Sie gelesen haben?«
»Natürlich«, bestätigte Barbarotti. »Das tut es. Ich will mich nur vergewissern, dass ich verstehe.«
»Dass Sie verstehen ?«
»Ja.«
»Und was wollen Sie verstehen?«
Und plötzlich erkennt er seine alte Lehrerin noch besser in ihr. Ihre scheinbar simplen Fragen bringen ihn aus der Fassung – genau wie Frau Jonsson ihn immer aus der Fassung brachte –, und er fühlt sich durchschaut. Vielleicht nicht völlig, aber irgendwie hat sie die Voraussetzungen verschoben. Er weiß nicht, wie, nur dass sie es getan hat. Ohne erkennbare Anstrengung hat sie es geschafft, denn was gibt es denn eigentlich zu verstehen ? Ehe er ihr antwortet, trinkt er einen Schluck Kaffee.
»Ich möchte verstehen, was damals passiert ist. Deshalb sitze ich hier.«
Das kommentiert sie nicht weiter. Nippt stattdessen ebenfalls an ihrem Kaffee und betrachtet ihn ruhig.
»Sie beide waren alte Klassenkameraden?«
Es wird das Beste sein, die alten Positionen schnellstmöglich wiederherzustellen, denkt er, und seine Frage überrumpelt sie tatsächlich.
»Ja … ja natürlich, woher wissen Sie das?«
»Es spielt keine Rolle, woher ich das weiß. Der Polizei gegenüber haben Sie das in den Vernehmungen nie erwähnt?«
»Warum hätte ich das tun sollen? Es spielt doch keine Rolle, dass Arnold und ich früher einmal in dieselbe Schule gegangen sind?«
Barbarotti zuckt mit den Schultern. »Das weiß man nie. Aber Sie waren demnach bereits alte Bekannte, als sie sich näherkamen?«
»Nein, das würde ich so nicht behaupten. Immerhin waren seither … tja, was weiß ich … vierzig Jahre vergangen. Ich wusste noch, wer er war, das war aber auch schon alles.«
»Dann spielte das also keine Rolle, als Sie eine Beziehung eingingen?«
»Nein, aber das ist meine Privatsache. Ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen über meine Beziehung zu Arnold zu sprechen. Das hat nicht die geringste Bedeutung für sein Verschwinden, das habe ich vor fünf Jahren sicher hundert Mal erklärt.«
»All right«, sagt Barbarotti. »Das akzeptiere ich.« Und denkt: Aber das tue ich nur, weil ich mich eigentlich mehr für die andere Geschichte interessiere.
»Sehen Sie irgendeinen Zusammenhang zwischen dem, was auf Klein-Burma passiert ist, und Arnold Morinders Verschwinden?«, fragt er.
Sie schüttelt den Kopf. »Nein«, antwortet sie. »Das tue ich selbstverständlich nicht, weil es keinen Zusammenhang gibt.«
»Als Arnold diese Tankstelle in Kerranshede verließ, wissen Sie, in welche Richtung er da fuhr?«
Das kann sie nicht wissen, weil nicht einmal das Mädchen an der Kasse diese Frage beantworten konnte. Nach dem, was er in allen möglichen Akten gelesen hat, schaute sie in eine andere Richtung, als Morinder davontuckerte. Aber bevor er sich auf den Sommer 1989 einschießt, will er trotz allem und soweit möglich der Norwegenspur nachgehen.
»Nein«, antwortet sie erstaunt. »Das weiß ich natürlich nicht.«
»Sie haben damals vorgeschlagen, dass er sich entschieden haben könnte, nach Norwegen zu fahren. Offenbar hatte er dort einen Bekannten?«
Ellen Bjarnebo zuckt mit den Schultern. »Ich weiß, dass ich das gesagt habe«, stellt sie fest. »Aber ich glaube es nicht. Das habe ich auch damals nicht getan, aber wenn man tagelang dasitzt und Fragen beantworten soll, sagt man am Ende irgendwas.«
»Irgendwas?«
»Vielleicht nicht irgendwas, aber man wird müde.«
»Fühlen Sie sich durch unser Gespräch auch belästigt?«
»Ja, das tue ich. Aber fragen Sie ruhig weiter, damit wir es hinter uns bringen.«
»Sie haben kein Verständnis dafür, dass wir Arnold Morinder finden wollen?«
»Doch, sicher, aber ich habe mit der Sache nichts zu tun. Ich kann Ihnen nicht helfen. Konnte es damals nicht und kann es
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