Am Abend des Mordes - Roman
jetzt?
Das ist kein erbaulicher Gedanke, und er würde sich wünschen, wenigstens daheim in Kymlinge zu sitzen und mit seinen Kindern zu sprechen – oder seinem Trauertherapeuten, woraufhin ihm einfällt, dass er am morgigen Tag, einem Dienstag, einen Termin bei ihm hat und diesen nicht wie vereinbart wird einhalten können. Er zieht sein Handy heraus und sucht nach Rönns Nummer, aber als er anschließend das Display betrachtet, erfährt er lediglich, dass er sich außerhalb der Reichweite aller Dienste befindet, was nur allzu gut zu dem passt, was er selbst längst begriffen hat.
Er bleibt trotzdem so liegen, wenngleich mit geschlossenen Augen, eine gute halbe Stunde lang. Ohne nach seiner Bibel greifen zu müssen, fallen ihm einige Zeilen aus dem Buch Der Prediger ein, allerdings nicht die, in denen er kürzlich Trost zu finden versuchte, sondern eine weniger bekannte Stelle, über die Marianne und er sich einmal unterhalten haben.
Es ist Trauern besser als Lachen; denn durch Trauern wird das Herz gebessert.
Das Herz der Weisen ist im Klagehause, und das Herz der Narren im Hause der Freude.
Genau, denkt Barbarotti. Mir geht es schlecht und warum auch nicht. Kurzum, je schlechter, desto besser.
Wenn ihn sein Gedächtnis nicht trügt – aber er verzichtet weiterhin darauf, es zu überprüfen –, steht etwas später im selben Kapitel denn Zorn ruht im Herzen eines Narren. Aber nichtsdestotrotz und ohne daraus eine Lehre zu ziehen, ist es genau dieses Gefühl, das allmählich in seinem Inneren aufflammt. Nach Selbstmitleid kommt Stärke, so ist es im Allgemeinen.
Mona Frisk mag ihren Mann mit einem Elchstutzen erschossen haben, denkt er, das lässt sich nicht ändern. Aber sie wird in dieser Sache verdammt noch mal nicht einfach so schalten und walten dürfen, wie es ihr passt. Schwarze Holzschuhe aus den Siebzigern, nein, das war nun wirklich des Guten zu viel.
Und die nächste Stunde – während der ihm, vermutlich inspiriert von den deutlichen und vermehrten Signalen von Essenszubereitung, die in das Zimmer einsickern, immer stärker der Hunger zusetzt – widmet er daraufhin der Aufgabe, ein Netz aus giftigen Fragen zu formulieren. Er hat nicht die Absicht, Ellen Bjarnebo eine Chance zu geben, sich aus diesem zu befreien, sobald der Magen das seine bekommen hat und er endlich mit ihr sprechen wird.
Dass sie vorher ein ordentliches Abendessen für ihn zubereiten muss, ist nur gerecht. Und ob.
37
A us Tagen werden Wochen.
Harry ist immer noch verschwunden. Die Polizei schickt ein paar Männer, die zwei Tage lang die nähere Umgebung durchsuchen. Es könnte ja trotz allem sein, dass er sich irgendwo erhängt hat.
Aber man findet nichts. Keinen Harry, keine Spur.
Der kleine Graue besucht sie ein zweites Mal, nun jedoch in Begleitung eines anderen Assistenten, einer jungen Frau. Sie stellen Fragen, die alten und ein paar neue. Sie antwortet, so gut es geht. Sie versuchen auch, mit Billy zu sprechen, aber Billy schüttelt nur erfolgreich seinen großen Kopf und sieht traurig aus. Sie lassen ihn schnell in Ruhe.
An Mittsommer werden sie nach Groß-Burma eingeladen. Sie sitzen im Garten und essen eingelegte Heringe und Kartoffeln. Lachs und Quiche und vieles andere natürlich auch. Schnaps, Bier und Wein. Als Nachtisch Erdbeeren und Eis, das Wetter ist herrlich. Ingvors Schwester und ihr Mann sind mit den beiden Kindern gekommen. Insgesamt fünf Erwachsene und sechs Kinder zählt Ellen. Die Kinder schwimmen im Pool, Billy nicht, aber alle anderen. Sie trinkt einen Schnaps, ein Bier und ein paar Schlucke Wein; nicht viel, sie wird nicht betrunken. Göran und sein Schwager sind allerdings beide blau und laut, aber nicht so wie Harry. Sie sind fröhlich und höchstens ein bisschen rechthaberisch, es ist ein himmelweiter Unterschied. Göran zwinkert ihr insgeheim zu.
Ja, es ist ein seltsamer Sommer. Eine Woche nach Mittsommer tritt sie ihren Urlaub an und hat auf einmal Kontakt zu ihren Nachbarn auf Groß-Burma. Das ist natürlich auch notwendig, denn der Hof muss schließlich weitergeführt werden, bald ist Erntezeit, und wenn der Bauer auf Klein-Burma nicht an seinem Platz ist, muss der Bauer vom Nachbarhof einspringen.
Und das tut er. Göran kümmert sich um alles auf beiden Höfen, und wenn er heimlich zu ihr kommt, hat sie plötzlich das Gefühl, als wäre es richtig. Er hat zwei Höfe und zwei Frauen. Die eine Frau lässt ihn nicht an sich heran, mit der anderen gibt es keine Probleme. Sie sprechen
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