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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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heute nicht.«
    »Als Sie an besagtem Mittwoch zu der Wohnung zurückkehrten, gab es da irgendwelche Anzeichen dafür, dass er dort gewesen war?«
    »Nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht dort war.«
    »Wie kommen Sie zu dem Schluss?«
    »Zeitungen und Post auf dem Teppich im Flur. Heruntergelassene Jalousien. Alles.«
    »Vermissen Sie ihn?«
    »Was?«
    »Ich frage Sie, ob Sie ihn vermissen.«
    »Ja, selbstverständlich vermisse ich ihn.«
    »Antworten Sie mit Ja, weil von Ihnen erwartet wird, mit Ja zu antworten?«
    Plötzlich lächelt sie. Nur für eine Sekunde, aber es reicht, um ihn erkennen zu lassen, dass sie in jüngeren Tagen Charme gehabt haben muss. Heute im Übrigen vielleicht auch, aber sie hat mit Sicherheit nicht vor, ihn an einen verirrten Kriminalinspektor zu vergeuden.
    »Ich war niemals verliebt in Arnold«, sagt sie. »Wenn Sie es unbedingt wissen wollen. Aber man kann es trotzdem schön finden, nicht allein zu sein. Obwohl, wenn man bedenkt, wie es dann gelaufen ist …«
    »Ja?«
    »So, wie es dann gelaufen ist, wäre es vielleicht besser gewesen, wir wären nie ein Paar geworden.«
    »Sie meinen sein Verschwinden?«
    »Sein Verschwinden und alles, was danach passiert ist. Fünf Jahre sind vergangen, und ich sitze immer noch hier und spreche mit der Polizei.«
    »Entschuldigen Sie.«
    Es ist gar nicht seine Absicht gewesen, sich zu entschuldigen, aber er merkt, dass er anfängt, sie zu mögen. Frau Jonsson mochte er nie, da ist er sich sicher, aber sie lächelte auch nie. Nicht eine Sekunde in all den Schulhalbjahren; jedenfalls soweit er sich erinnern kann, aber vielleicht ist das auch ein ungerechtes Urteil. Es hat mit Macht zu tun, überlegt er, und wenn die Macht lächelt, nimmt der Untertan es nicht immer wahr. Das ist ein sowohl unerheblicher als auch störender Gedanke, und er trinkt einen weiteren Schluck Kaffee, um den roten Faden wiederzufinden. Für einen Moment huscht zudem Marianne vor seinem inneren Auge vorbei. Er hat das Gefühl, dass sie die Lippen bewegt. Reiß dich zusammen, Gunnar , ermahnt sie ihn vermutlich, ehe sie wieder verschwindet.
    »Vor ein paar Tagen habe ich mich in Stockholm mit Billy getroffen«, sagt er.
    »Aha?«, erwidert sie, und nun ist ihr Lächeln definitiv ausgelöscht. Zum ersten Mal ahnt er einen Anflug von Unsicherheit. Oder Schuld oder was immer es auch sein mag.
    »Er bat mich, Sie zu grüßen.«
    Sie nickt.
    »Sie sehen sich nicht sonderlich oft?«
    Sie holt tief Luft. Ihre Schultern heben und senken sich, und sie betrachtet ihn ernst.
    »Nein. Wir sehen uns nicht besonders oft, das ist richtig.«
    »Es gibt eine Frage, die im Zusammenhang mit dem Mord an Ihrem Mann nie wirklich beantwortet wurde.«
    »Ah ja? Und welche?«
    »Es geht um Billys Rolle. Wusste er, was passiert war? Will sagen, bevor es aufgedeckt wurde.«
    Sie schüttelt den Kopf. Barbarotti zeigt auf das Aufnahmegerät.
    »Er wusste nichts davon«, sagt sie.
    »Ja, das behaupten Sie in den Vernehmungen. Aber ich glaube es nicht.«
    Sie schweigt eine Weile, ehe sie ihm antwortet. Faltet die Hände, legt sie auf die Tischkante und sieht sie an.
    »Warum glauben Sie das nicht?«
    »Weil es sich in meinen Ohren absurd anhört«, erklärt Barbarotti.
    »Absurd?«
    »Ja. Nach dem, was Sie angegeben haben, erschlagen Sie Ihren Mann am Abend des dritten Juni im Büro in der Scheune. Dann zerlegen Sie ihn, packen die Leiche in schwarze Plastiksäcke und schleppen sie in den Wald und sind erst gegen vier Uhr morgens fertig. Während dieser ganzen Zeit hält Billy sich auf dem Hof auf.
    »Er war in seinem Zimmer«, sagt Ellen Bjarnebo.
    »In seinem Zimmer?«
    »Und schlief. Er war ein etwas spezieller Junge. Er war am liebsten allein.«
    »Das habe ich begriffen«, sagt Barbarotti. »Aber danach sind sie beide den ganzen Sommer zusammen, mehr als zwei Monate, und in dieser ganzen Zeit erfährt Billy nicht, was mit seinem Vater geschehen ist. Dass Sie ihn erschlagen, zerstückelt und begraben haben. Das wirkt in meinen Augen völlig absurd.«
    Ellen Bjarnebo betrachtet eine Weile ihre gefalteten Hände.
    »Ich weiß nicht«, sagt sie. »Ich bildete mir jedenfalls ein, dass er es nicht verstand. Aber vielleicht irrte ich mich auch. Vielleicht begriff er, dass etwas passiert war. Oder ahnte es …«
    »Ahnte?«
    »Woher soll man das wissen? Billy war sehr speziell. Das ist er immer noch, und wenn Sie ihm begegnet sind, müssen Sie das gemerkt haben. Heute spricht er, das tat er damals

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