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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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Nase gebohrt.
    Kleinigkeiten reichten völlig aus, und im Übrigen war es durchaus möglich, dass sie selbst ihn wütend gemacht hatte, weil sie so lange im Badezimmer geblieben war. Sie drehte das Wasser ab, lauschte drei, vier weiteren Schlägen und dem Knall, als Harry die Tür mit einem abschließenden Missgeburt! zuschlug. Danach kehrte er zu ihrer Tür zurück und zerrte an der Klinke.
    »Scheiße, jetzt reicht’s mir aber! Du machst jetzt auf, sonst breche ich die verdammte Tür auf!«
    Er musste sich noch ein paar Gläser hinter die Binde gekippt haben, während sie dort an die Badewanne gelehnt gesessen hatte. Er klang wie immer, wenn er kurz davor war, völlig die Beherrschung zu verlieren, und für eine Sekunde zog sie in Erwägung, ihn einfach nicht hereinzulassen. Aber vielleicht würde er dann tatsächlich tun, was er ihr angedroht hatte: die Tür einschlagen. Oder zu dem Jungen zurückkehren und weiter auf ihn einprügeln. Sie schauderte und drehte den Riegel.
    Er stolperte herein und wäre beinahe hingefallen. Bekam den Handtuchhalter zu fassen und schaffte es, sich auf den Beinen zu halten.
    »Ich muss pissen, verdammt. Mach Platz!«
    Sie zwängte sich durch die Tür und beschloss, ihm schleunigst alles zu geben, was er wollte. Hauptsache, er schlug sie nicht.
    Nur das nicht. Dieser Widerstand, der vor einer Stunde in ihr aufgeblitzt war, existierte nicht mal mehr als Erinnerung. Als er ins Wohnzimmer zurückkam, saß sie auf der Couch, die Oberschenkel halb nackt, den Slip unter ein Polster gestopft.
    Es war der einzige Weg. Keine innere Stimme gab ihr andere Anweisungen.

15
    A m späten Sonntagabend – als er allen Gute Nacht gesagt und die Schlafzimmertür geschlossen hatte – holte er endlich die Bibel hervor. Zunächst las er die Stelle im Brief an die Hebräer, auf die er hingewiesen worden war und in der es vor allem darum ging, Qualen durchzustehen und einen festen Glauben zu haben, und er hatte nicht das Gefühl, dass ihm das viel brachte. Aber seit er den Tipp bekommen hatte, waren einige Tage vergangen, und oft kam es darauf an, die Gelegenheit sofort beim Schopf zu packen und nicht zu trödeln, das hatte er gelernt.
    Anschließend zögerte er einen Moment, ehe er sich für den ersten Brief an die Korinther entschied. Das dreizehnte Kapitel, am besten stieß er direkt zum Kern der Sache vor.
    Ich lerne es auswendig, und anschließend führe ich ein Gespräch mit unserem Herrgott, dachte er und rückte die Kissen in seinem Rücken gerade.
    Das dauerte eine Weile. Der Uhrzeiger passierte Mitternacht, und er passierte halb eins, aber dann las er den Text dreimal hintereinander fehlerfrei mit geschlossenen Augen, und beim letzten Mal merkte er nicht einmal, dass er einstudiert war … aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Als spräche eine andere Stimme in ihm und als würden seine Worte Fleisch. Es gefiel ihm, sich das zumindest einzubilden, und daraufhin ging er zwei Kapitel weiter.
    Denn dies Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit.
    Wenn aber dies Verwesliche wird anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche wird anziehen die Unsterblichkeit, dann wird erfüllt werden das Wort, das geschrieben steht:
    Der Tod ist verschlungen in den Sieg.
    Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?
    Er öffnete die Augen, schaltete die Lampe aus und schaute durch das dunkle Fensterviereck hinaus. Der stachlige Waldrand und die Tiefe des Himmels dahinter. Was bedeutet das, fragte er sich. Heißt das, dass sie wirklich bei dir ist, oder was soll ich glauben, lieber Gott? Ist der Stachel des Todes gebrochen?
    Es dauerte einige Sekunden, bis er eine Antwort bekam. Aber dann kam sie, und ihm war augenblicklich klar, dass es tatsächlich unser Herrgott am anderen Ende der Leitung war. Es war nicht seine eigene Stimme, die eine Doppelrolle spielte; eigenartig, wie leicht das zu unterscheiden war. Nicht immer, aber manchmal.
    Wonach fragst du eigentlich, sagte der Herrgott.
    Also, es ist so, erwiderte Barbarotti. Seit ihrem Tod ist fast ein Monat vergangen, und der Zweifel nagt an mir.
    Was für ein Zweifel, erkundigte sich der Herrgott.
    Gibt es sie wirklich noch, fragte Barbarotti. Ist sie wirklich heimgegangen, wie sie es immer gesagt hat? Ich habe kein Zeichen von ihr bekommen.
    Du verlangst Zeichen, um glauben zu können, fragte der Herrgott.
    Naja, antwortete Barbarotti. Ich habe natürlich einmal ihre Stimme vernommen,

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