Am Abend des Mordes - Roman
nicht gesagt.
Man fragte sich allerdings, was sie im Monat Mai in einer lappländischen Pension machte. War da oben überhaupt schon Frühling, überlegte Barbarotti, der nur einmal in seinem Leben nördlich von Östersund gewesen war.
Am Wochenende hatte er dann doch nicht so viele Stunden mit dem einen oder anderen Fall verbracht, und das war möglicherweise ein gutes Zeichen. Er wollte einige Vernehmungen durchgehen, unter anderem zwei mit Ellen Bjarnebo sowie eine mit Sofia Lindgren-Pallin, einer ihrer Arbeitskolleginnen in dem Eisenwarengeschäft, in dem sie bis zum Sommer 1989 gearbeitet hatte.
Dem Sommer, in dem es passiert war.
Er hatte schon eine ganze Weile in der ersten Abschrift gelesen, als er bei einer Frage und einer Antwort aufhorchte. Ein gewisser Kommissar Kartén hatte die meisten Vernehmungen geführt. Barbarotti erinnerte sich vage an einen schlaksigen, pedantischen Herrn mit braungetönter Brille und Magenproblemen; er war im Frühjahr 1990, lediglich ein halbes Jahr nach dem Mordfall, pensioniert worden, und Barbarotti hatte ihn nie kennen gelernt.
Kartén: Aber der Hammer traf Ihren Mann mitten auf den Hinterkopf. Trotzdem sagen Sie, dass sie aus blinder Wut und im Affekt gehandelt haben. Warum reagierte er nicht?
Ellen Bjarnebo: Ich habe wohl noch zwei Sekunden nachgedacht. Aber in der Sache änderte das nichts.
Barbarotti blätterte zurück. Frage und Antwort passten irgendwie nicht zusammen, aber so etwas kam vor. Es ging also um das Motiv für die Tat. Ellen Bjarnebo behauptete, ihr Mann habe sie auf das Gröbste beschimpft, mit Worten, die sie keinesfalls wiedergeben wollte, und dies habe das Fass zum Überlaufen gebracht. In der vorhergegangenen Nacht hatte er sie und seinen Sohn geschlagen. Dazu sei es auch vorher schon wiederholt gekommen, und im Laufe des Frühjahrs sei die Lage eskaliert. Nun stand sie in einer Art Arbeitszimmer, das er sich im Giebel der Scheune eingerichtet hatte, hinter ihm; es war Samstagabend, er saß mit dem Rücken zu ihr an einem Schreibtisch und war mit irgendetwas beschäftigt. Warum sich die beiden dort aufhielten, wurde nicht erwähnt. Der Ehemann sagte, ohne sich zu ihr umzudrehen, etwas äußerst Beleidigendes, ihr fiel der Hammer auf einer Arbeitsplatte ins Auge, und sie verlor die Beherrschung.
So hatte sie das Ganze beschrieben, sowohl in dieser als auch in zwei früheren Vernehmungen.
Dennoch kam sie also dazu, zwei Sekunden nachzudenken.
Und dieses Nachdenken änderte in der Sache nichts.
Barbarotti grübelte. Als der kurze Moment von Nachdenklichkeit vorüber war, hatte Ellen Bjarnebo ihrem Mann mit einem Vorschlaghammer den Schädel eingeschlagen – die Tatwaffe war laut kriminaltechnischer Untersuchung von mittlerer Größe und für eine Person ohne allzu große körperliche Kraft relativ leicht zu handhaben –, und danach hatte sie am Abend und in der Nacht, genauer gesagt der Nacht zwischen dem dritten und vierten Juni, ihr Opfer zerlegt, die einzelnen Teile in schwarze Plastiksäcke gepackt und sie zu verschiedenen Stellen im hinter dem Haus liegenden Wald geschleppt. Sie hatte versucht, die Säcke zu vergraben, sich jedoch damit zufrieden geben müssen, sie mit Blättern und Zweigen zu bedecken. Für die Zerlegung gab es einen simplen Grund. Lebend hatte Harry Helgesson mindestens 90 Kilo auf die Waage gebracht, und als Leiche wurde man bekanntermaßen nicht unbedingt leichter. Jedenfalls nicht sofort.
Nachdem sie sich so ihres Gatten entledigt hatte, wartete Ellen Bjarnebo einige Tage, ehe sie meldete, dass er verschwunden war. Hätte sich die Nachbarsfamilie auf dem Hof Groß-Burma nicht allmählich gewundert, hätte sie damit womöglich noch länger gewartet, behauptete sie. Sie vermisste ihren Mann nicht, weder lebendig noch tot.
Die Untersuchung des Tatorts, die folglich mehr als zwei Monate nach der Tat durchgeführt wurde, bestätigte, soweit möglich, Ellen Bjarnebos Geschichte. Auf dem Schreibtischstuhl und dem Fußboden konnten in dem betreffenden Raum Spuren von Harry Helgesson gesichert werden, aber das war dann im Großen und Ganzen auch schon alles. Dass er in der von ihr beschriebenen Weise umgebracht wurde, ließ sich weder bestätigen noch widerlegen. Andererseits hatte natürlich keine Veranlassung bestanden, Ellen Bjarnebos Aussage anzuzweifeln.
Während des Sommers hatte die Polizei die Angelegenheit ein wenig halbherzig bearbeitet, stellte Barbarotti fest. Es hatte keine wirklich überzeugenden Gründe
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