Am Abend des Mordes - Roman
Obwohl sie nun, nach einigen Jahren im 21. Jahrhundert, nur noch Pallin hieß. Und Gunvaldsson hatte aus der Verbindung nichts gemacht, sodass unklar blieb, ob er sich ihrer überhaupt bewusst gewesen war. Jedenfalls war Sofia Lindgren-Pallin 1989 mit einem gewissen Torsten Lindgren verheiratet gewesen, Besitzer von Lindgrens Eisenwaren AB am Södra torg, dem Geschäft, in dem Ellen Bjarnebo in den letzten beiden Jahren vor dem Mord als Teilzeitkraft beschäftigt gewesen war. Gelegentlich war Sofia Lindgren-Pallin eingesprungen und hatte im Laden gearbeitet, phasenweise die Buchführung übernommen und die Angestellten somit natürlich gekannt. In ihrer kurzen Zeugenaussage zu Ellen Bjarnebos Charakter hatte sie kundgetan, dass es an der Art der Verdächtigen, ihre Arbeit zu machen, nichts auszusetzen gegeben hatte. Man hätte sich manchmal vielleicht gewünscht, dass sie im Umgang mit Menschen ein bisschen begabter gewesen wäre, aber die Kunden in einem Eisenwarengeschäft machten sich nicht viel aus einschmeichelndem Personal, so dass dies eigentlich nicht der Rede wert gewesen war.
Wenn Sofia Lindgren-Pallin in der späteren Ermittlung zu Arnold Morinders Verschwinden auftauchte, lag es einfach daran, dass sie auch diesmal im selben Betrieb gearbeitet hatte wie Bjarnebo: der Postbank. Die Polizei hatte ein kürzeres Gespräch mit ihr geführt – wie mit allen anderen Kollegen auch –, und sie hatte dabei nicht erwähnt, dass sie die berühmt berüchtigte Mörderin bereits von früher flüchtig gekannt hatte.
Und Gunvaldsson war dieses Detail entgangen.
Jedenfalls fand sich in den Akten nichts, was eine andere Schlussfolgerung nahelegte.
Das hatte wahrscheinlich absolut nichts zu sagen, erkannte Barbarotti, nachdem er eine Minute über die Sache nachgedacht hatte. Aber da man ihn nun einmal beauftragt hatte, diese alten Geschichten über einen schnöden, schrecklichen Tod und menschliche Unzulänglichkeiten zu untersuchen – und weil sich das interessanteste Interviewobjekt allem Anschein nach weiterhin in der Gegend von Vilhelmina aufhielt –, beschloss er zu versuchen, sich mit der früheren Eisenwarenhändlerin in Verbindung zu setzen.
Eine weitere Minute später hatte er sie am Apparat. Er erläuterte, worum es ging, und erkundigte sich, ob Sofia Pallin eventuell Zeit für ein kurzes Treffen habe.
Da sie seit gut einem Jahr Rentnerin sei und weder an Golf noch an Busreisen zu Glashütten Gefallen finde, habe sie alle Zeit der Welt, erklärte sie ihrerseits. In einer halben Stunde sei er zu einer Tasse Kaffee herzlich willkommen. Ob er die Adresse habe.
Barbarotti fragte, ob sie noch im Tulpanvägen 12 wohne, was sie bestätigte.
Ehe er das Präsidium verließ, versuchte er es noch einmal bei Ellen Bjarnebos Handy. Keine Antwort. Keine Mailbox. Er schickte ihr eine SMS, in der er sie bat, sich bei ihm zu melden, sobald sie Zeit hatte.
Es kommt mir fast so vor, als würde ich arbeiten, überlegte er, als er vom Parkplatz fuhr. Und es regnete weiterhin unvermindert heftig.
Steh grau .
16
E s war ein Reihenhaus mit Flachdach aus den Siebzigern, das direkt am Stadtwald stand. Barbarotti glaubte nicht, seit den späten siebziger Jahren jemals wieder seinen Fuß in den Tulpanvägen gesetzt zu haben. Damals war er zwar nicht in Nummer 12 gewesen, aber er erinnerte sich auf einmal mit verblüffender Deutlichkeit an den Anlass seinerzeit: eine Kostümparty bei einem langbeinigen, blonden Mädchen mit beseelten Augen … war es nicht Hausnummer 15 gewesen, dieses Grundstück mit blühenden Kirschbäumen schräg gegenüber, mit dem frisch gestrichenen Holzzaun?
Sie war auf dem Gymnasium in seine Klasse gegangen und hieß passenderweise Blondie. Zumindest wurde sie so genannt, denn um 1960 dürfte man Mädchen wohl eher nicht Blondie getauft haben. Barbarotti war als Pirat verkleidet gewesen, weil das Motto Das Meer lautete, und hatte den größeren Teil des Abends damit verbracht, mit einer anderen Klassenkameradin namens Åsa herumzuknutschen. Eventuell auch Anna; sie war als Qualle gekommen, und die Sache war nicht ganz unkompliziert gewesen.
Als Sofia Pallin ihn hereinbat, war sie als nichts anderes als sie selbst verkleidet: eine recht große, recht elegante Frau in einer roten Tunika und schwarzen Jeans. Barbarotti wusste, dass sie siebenundsechzig war, aber sie gab sich Mühe, jünger auszusehen. Nicht ohne Erfolg, definitiv nicht.
Auch ein Hund begrüßte ihn. Groß, braun, kurze Haare; er sah
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