Am Abend des Mordes - Roman
ziehen könnte, was manche glauben, du und ich jedoch nicht, dann würde ich ehrlich gesagt versuchen, dich und Eva Backman ein wenig näher zueinander zu führen. Sei nicht gleich schockiert, ich sage nicht mehr, als ich sage, aber sie ist einer der besten Menschen, die mir je begegnet sind, und wenn ihr der Sache nicht wenigstens eine kleine Chance geben würdet, wärt ihr in meinen Augen bescheuert. Aber vor allem du, Gunnar, und du bist der Einzige, der einen solchen Brief bekommt. Wenn ich tot bin, seid ihr beide ledig. Es sei denn, sie hätte kürzlich einen neuen Mann gefunden, in dem Fall nehme ich meinen Vorschlag natürlich zurück.
Nun ja, dies war vielleicht nicht der Brief, den ich schreiben wollte, und auch nicht der Brief, den du erwartet hast, aber wenn mir nichts Besseres einfällt, bleibt es eben bei diesen Zeilen. Ich werde meine Schwester um Hilfe bitten und bin mir sicher, dass sie tun wird, worum ich sie bitte. Zwei Dinge sollst du wissen: Erstens liebe ich dich, Gunnar, und bin unendlich dankbar für die Jahre, die uns gemeinsam vergönnt waren, zweitens warte ich auf dich und habe ein Auge auf dich. Ein liebevolles Auge natürlich.
Ich denke, es wird das Beste sein, den Kindern nicht zu erzählen, was ich geschrieben habe, vor allem das mit Eva nicht, Jugendliche sind ja so sensibel. Aber das darfst du entscheiden. Jedenfalls weiß ich, dass du dich gut um sie kümmern wirst, um alle fünf. Und sie werden sich um dich kümmern, sie sind so erwachsen, dass es in beide Richtungen funktioniert. Johan ist sicher bald reif genug, das Nest zu verlassen, aber du musst dafür sorgen, dass Jenny bei dir bleibt, falls ihr Vater auf andere Ideen kommen sollte, kannst du ihm von mir ausrichten: niemals. Ich weiß, dass du und Jenny euch gut versteht und sie auf gar keinen Fall bei Tommy und seiner armen neuen Gans wohnen möchte, kommt es hierüber zum Streit, musst du kämpfen. Sonst bekommst du es mit mir zu tun, wenn wir uns wiedersehen. Vergiss nicht, dass ich dich im Auge behalte, haha.
Das war das Wichtigste, vielleicht werde ich später noch das eine oder andere ergänzen, kommt Zeit, kommt Rat. Ich weiß ja nicht einmal, ob du das hier jemals lesen müssen wirst, aber vielleicht, trotz allem.
Küsschen aus dem Himmel
M.
Er weinte.
Er weinte, und er lachte. Las noch einmal. Langsam, Wort für Wort, beinahe Buchstabe für Buchstabe. Legte anschließend den Arm um ihr Kissen und drückte es. Danke, meine Geliebte, dachte er. Das war es, was ich brauchte.
Aber dass … dass seine tote Ehefrau meinte, ihm einen Schubs geben zu müssen, damit er sich traute, auf Freiersfüßen zu wandeln? Sehr seltsam, dachte Gunnar Barbarotti. Und Eva Backman?
Manchmal wusste Marianne nicht, wovon sie sprach, das war ihm schon aufgefallen, als sie noch lebte, und dass sie sich nun im Jenseits befand, schien die Sache nicht besser zu machen.
Aber er merkte, dass er lächelte. Zum Teufel, er bekam dieses Lächeln einfach nicht in den Griff.
Er nahm die Bibel in die Hand und suchte die Klagelieder heraus. Die alte Pendeluhr im Wohnzimmer schlug zwölf, und es wurde Juni.
III
Juni 2012 / Juni 1989
22
I rgendetwas stimmte mit Lisbeth Mattson nicht.
Zu dieser Einschätzung kam er nach ungefähr zehn Sekunden. Sie war um die siebzig oder ein bisschen jünger; eine dünne, leicht schiefgewachsene Frau mit kleinen, nervösen Bewegungen und einer Stimme, die eine Oktave höher lag, als sie es tun sollte.
Aber nicht ihre Stimme warf bei ihm Fragen auf, sondern ihr Gesicht und ihre Mimik. Als sie sich die Hand gaben, sah sie ihm zwar in die Augen, aber nur, um sofort wieder fortzuschauen. Überhaupt schien es ihr schwerzufallen, den Blick auf etwas zu richten, und ihre Mundwinkel fuhren unablässig hoch und wieder hinab, als wollte sie ein Lächeln probieren, um jedes Mal einzusehen, dass sie es doch nicht hinbekam.
Die Nerven, dachte Barbarotti und folgte ihr in ein mit Möbeln überfrachtetes Wohnzimmer. Eine unruhige alte Eichhörnchenfrau, hier gilt es, das Tempo zu drosseln.
Er war vom Bahnhof aus zu Fuß gegangen. Die Entfernung betrug kaum mehr als einen Kilometer, und er fand nicht, dass der Ort sich sonderlich verändert hatte, seit er das letzte Mal hier gewesen war. Damals hatte er den Mousterlin-Mann gejagt, diesmal wusste er nicht genau, was er eigentlich jagte.
Er war an dem Uhrengeschäft vorbeigekommen, in dem er, wenn er sich richtig erinnerte, die schlechteste Armbanduhr gekauft hatte, die
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