Am Abend des Mordes - Roman
Barbarotti.
»Nach etwa zwei Jahren«, sagte Lisbeth Mattson und zuckte mit den Schultern. »Billy und der Schulpsychologe fuhren für einen Tag zu ihr.«
»Hinseberg liegt nicht weit entfernt von hier, stimmt’s?«
»Ich glaube, sie brauchten etwa eine Stunde«, antwortete Lisbeth Mattson. »Oder weniger. Am Abend war Billy jedenfalls wieder zu Hause. Aber es ging ihm nicht gut. Es war ein Fehler, den wir nie an die große Glocke gehängt haben. Dieser Schulpsychologe ging dann fort.«
Die Sonne war um die Hausecke gewandert und schien nun in das Zimmer, in dem sie saßen. Sie stand auf, ging zum Fenster und stellte die Jalousien so ein, dass der Tisch erneut im Schatten lag. Versuchte sich an einem weiteren missratenen Lächeln, ehe sie sich wieder setzte.
»Heutzutage scheint viel zu oft die Sonne.«
»Genau«, sagte Barbarotti.
»Und es gibt so viel Furchtbares. Man liest …«
Sie verstummte und putzte ihre Brille. Barbarotti fühlte sich mit einem Mal zunehmend unwohler und hätte sich gewünscht, dieses Gespräch augenblicklich beenden zu können, um zum Bahnhof zurückgehen und diesen Ort verlassen zu dürfen. Er trank einen Schluck Kaffee, der einen Beigeschmack von abgestandenem Puder hatte. Noch so eine eigenartige Wahrnehmung, aber so stand es nun einmal um ihn. Das war es, was er im Gespräch mit Rönn zu beschreiben versucht hatte. Diese Unterhaltung könnte genauso gut in einer Ecke der Klapsmühle stattfinden, dachte er.
»Bekam sie denn niemals Hafturlaub«, erkundigte er sich in dem Versuch, zur Tagesordnung zurückzukehren. »Also, um Billy zu treffen, meine ich.«
»Ein Mal«, wiederholte sie tonlos. »Sie war ein Mal hier.«
»Und?«, sagte Barbarotti.
»Das hatte auch keinen Sinn. Sie machte den Jungen nervös.«
»Und als sie entlassen wurde?«
»Da leistete Billy seinen Wehrdienst ab. Und danach zog er fort.«
»Zu Juliana und nach Stockholm.«
»Ja.«
Kaum hörbar.
»Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«
»Ellen?«
»Ja.«
»Damals. Als sie hier war.«
»In welchem Jahr war das?«
»1993. Sie hatte Hafturlaub. Ein Jahr war vergangen, seit Billy sie besucht hatte.«
»In Hinseberg?«
»Ja.«
»Zur Beerdigung ihres Bruders ist sie nicht gekommen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich hatte sie gebeten, ihr fernzubleiben. Ich wollte sie nicht mit all den Menschen in der Kirche haben.«
Barbarotti schwieg eine Weile und dachte, wenn Lisbeth Mattson ihn jemals fragen sollte, ob er ihr zwanzig Kronen leihen könne, würde er glatt Nein sagen.
»Sprach Billy oft über seine Mutter?«
»Er sprach nie über seine Mutter.«
»Nie?«
»Nein. Als er zu uns kam, sprach er überhaupt nicht. Das habe ich Ihnen doch schon gesagt.«
Barbarotti hob seine Kaffeetasse an und stellte sie wieder ab.
»Und wie ist Ihr Verhältnis zu Billy heute?«
Er hätte ihr genauso gut das Knie gegen den Solarplexus rammen können. Sie beugte sich vor, als hätte er es tatsächlich getan. Richtete sich langsam wieder auf.
»Entschuldigung. Mein Magengeschwür meldet sich. Was haben Sie gesagt?«
»Ich habe gefragt, wie das Verhältnis zwischen Ihnen und Billy heute ist.«
»Gut.«
»Sehen Sie sich oft?«
»Nein, das nicht. Wir telefonieren manchmal.«
»Was macht er beruflich?«
»Er ist Bauarbeiter. Hat viel zu tun.«
»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
»Das ist schon eine Weile her.«
»Eine Weile?«
»Ja.«
»Sie haben ein Kind? Er und Juliana?«
»Julia. Ein Mädchen.«
»Ich werde mich morgen mit Billy treffen. Möchten Sie, dass ich ihm Grüße ausrichte?«
Sie zuckte zusammen. »Ja … nein, nicht nötig. Vielleicht rufe ich ihn heute Abend kurz an.«
Nein, dachte Inspektor Barbarotti und stand auf. Das soll fürs Erste reichen. Wenn ich weitermache, werde ich mit ihr zusammen zu dieser Ecke in der Klapsmühle fahren müssen.
»Danke, dass ich mich mit Ihnen unterhalten durfte«, sagte er. »Aber jetzt will ich Sie nicht länger stören.«
»Vielen Dank«, erwiderte Lisbeth Mattson.
Setzte ihre Brille auf, nahm sie wieder ab und begleitete ihn hinaus.
Eine gute Stunde später saß er erneut im Zug und versuchte sich zu erinnern, ob er in seinem Leben jemals ein trostloseres Gespräch geführt hatte, aber es wollte ihm auf Anhieb keines einfallen. Er war sich zudem relativ sicher, wenn Lisbeth Mattson nicht zufällig auf dem Weg zwischen Kymlinge und Stockholm gewohnt hätte, wäre er überhaupt nicht interessiert gewesen, ihr einen Besuch abzustatten. Was
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