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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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sich jemals in seinem Besitz befunden hatte, aber er ging nicht hinein, um sich zu beschweren. Er hatte nicht das Gefühl, dass die Zeit in seinem Leben noch eine große Rolle spielte, und womöglich hatte der Besitzer gewechselt. Seither waren immerhin fünf Jahre vergangen.
    Das Einfamilienhaus, in dem Lisbeth Mattson wohnte, lag wie eine ganze Reihe anderer Dinge in Hallsberg an der Eisenbahnlinie, und er wusste, dass ihr Mann, also Ellen Bjarnebos älterer Bruder, Angestellter bei der Staatsbahn gewesen war. Er wusste darüber hinaus, dass er vor etwas weniger als einem Jahr gestorben war, und als seine Witwe schließlich in dem grünen Sessel ihm gegenüber Platz genommen hatte, dämmerte ihm, dass ihre Nervosität mit seinem ungeplanten Ableben zusammenhing. Zumindest war es ein Faktor.
    »Gunder hinterlässt eine solche Leere«, setzte sie an. »Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll.«
    »Kam sein Tod unerwartet?«, fragte Barbarotti.
    »Wie ein Blitz aus heiterem Himmel«, erklärte Lisbeth Mattson. »So sollte man nicht sterben.«
    »Da haben Sie recht«, sagte Barbarotti und schluckte. Betrachtete einige Sekunden einen ausgestopften Vogel auf einer Stange und versuchte, sich zu sammeln. Dies war kein Gesprächsthema, in das er sich weiter vertiefen wollte.
    »Es ist furchtbar«, sagte Lisbeth Mattson. Dann lächelte sie, überlegte es sich jedoch gleich wieder anders. Machte ansatzweise eine Geste Richtung Keksteller, faltete die Hände, überlegte es sich jedoch anders. Bewegte ein wenig ihre Gesichtsmuskulatur, überlegte es sich anders und setzte eine Brille auf. Sie hatte ein hellblaues Gestell, was einer Zwölfjährigen sicher ganz hervorragend gestanden hätte. Barbarotti räusperte sich.
    »Ich bin gekommen, um mich mit Ihnen ein wenig über Ellen Bjarnebo zu unterhalten«, erläuterte er. »Und über Billy.«
    Das machte sie alles andere als ruhiger. »Und warum? Welchen Grund gibt es um Himmels willen, diese alten Geschichten wieder aufzuwärmen? Ich meine … ich finde …«
    Sie verstummte. Er hatte ihr sein Anliegen ja bereits am Telefon vorgetragen, vielleicht erkannte sie, dass die Zeit der Verwunderung vorbei war. Barbarotti überlegte seinerseits, ob es eine bessere Erklärung gab als die hoffnungslos abgedroschene Floskel, dass man dabei war, ein paar losen Fäden nachzugehen, fand aber keine.
    »Es gibt da ein paar lose Fäden«, sagte er.
    »Fäden?«, wiederholte Lisbeth Mattson, als hätte sie das Wort noch nie gehört.
    »Es ist wichtig, den Dingen auf den Grund zu gehen«, verdeutlichte Barbarotti. »Es gibt da ja noch einen anderen Fall, in den ihre Schwägerin möglicherweise verwickelt ist … einen Fall, den wir bisher nicht aufklären konnten. Sie wissen vermutlich davon?«
    »Nennen Sie sie bitte nicht meine Schwägerin«, erwiderte Lisbeth Mattson. »Ich weiß, dass wir … aber wir haben uns niemals in dieser Weise nahegestanden.«
    »Aha?«, sagte Barbarotti. »Aber Sie und Ihr Mann haben doch ihren Sohn bei sich aufgenommen?«
    »Ja, natürlich, das haben wir.«
    »Und wie kam es dazu?«
    »Wie es dazu kam?«
    »Ja.«
    Lisbeth Mattson legte den Kopf schief und setzte ihre Brille ab. »Dem Jungen zuliebe. Nicht ihr zuliebe.«
    Barbarotti wollte schon sagen, dass er verstand, schaffte es aber, sich die Worte zu verkneifen, und bat sie stattdessen, dies etwas genauer zu erklären.
    »Erklären?«, wunderte sie sich. »Was gibt es denn da zu erklären? Über diese Dinge gibt es nicht mehr zu sagen, und wenn Gunder noch am Leben wäre, dann würde er …«
    Sie beendete den Satz nicht. Eine Reihe kleiner Tics flog über ihr Gesicht, und Barbarotti dachte, dass er jetzt gerne Eva Backman an seiner Seite gehabt hätte. Er schwieg und versuchte, wie ein wohlwollender Beichtvater auszusehen.
    »Entschuldigen Sie«, meinte sie nach einer Weile. »Seit Gunders Tod bin ich nicht mehr richtig ich selbst, und diese alten Geschichten reißen in meinem Herzen so viele Wunden auf.«
    Offenkundig zufrieden mit dieser poetischen Formulierung, zwinkerte sie ihn zwei Mal an. Barbarotti zwinkerte auch und nickte zurückhaltend.
    »Es stimmt, dass wir uns um Billy gekümmert haben«, fuhr sie unaufgefordert fort. »Was wäre denn sonst aus dem armen Jungen geworden? Nachdem es passiert war, haben wir uns sofort entschieden, Gunder und ich. Wir hatten ja keine eigenen Kinder, und wir … also wir haben Billy immer als unseren eigenen Jungen betrachtet.«
    »Wie alt war er, als er zu Ihnen

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