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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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kam?«, fragte Barbarotti, obwohl er die Antwort kannte.
    »Zwölf«, sagte Lisbeth Mattson und seufzte schwer. »Stellen Sie sich vor, er war schon zwölf und konnte kaum sprechen.«
    Dies war Barbarotti halbwegs neu. Er hatte zwar gelesen, dass Billy Helgesson ein in sich gekehrter und etwas problembehafteter Junge gewesen war, aber nirgendwo hatte gestanden, dass er nicht sprach.
    »Das war mir nicht bekannt«, sagte er. »Woran lag das?«
    »An seinem Zuhause«, antwortete Lisbeth Mattson augenblicklich. »An seinen Eltern natürlich. Ellen und Harry waren bestimmt die schlimmsten Eltern, die man sich nur vorstellen kann. Billy hatte einfach Angst. Er war daran gewöhnt, wegen jeder Kleinigkeit geschlagen und ausgeschimpft zu werden.«
    »Aber als er zu Ihnen kam, wurde das mit dem Sprechen besser?«
    »Allerdings«, bestätigte Lisbeth Mattson eifrig. »Schon nach kurzer Zeit. Auch in der Schule. Er fand Freunde … die hatte er früher nie gehabt.«
    »Hatten Sie Kontakt zu seiner Familie?«, fragte Barbarotti. »Ich meine, bevor Sie den Jungen bei sich aufnahmen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Keinen. Aber man wusste trotzdem, wie die Dinge lagen. Wir waren in dem Sommer einmal bei ihnen, und Gunder sagte tatsächlich … als es passiert war, ein paar Wochen also, nachdem wir sie besucht hatten … ich bringe es durcheinander, aber …«
    Sie zögerte und betrachtete ihn besorgt.
    »Was sagte Gunder?«
    »Er sagte, das wundere ihn nicht.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Dass einer von ihnen früher oder später den anderen umbringen würde, sei zweifellos zu erwarten gewesen. Das waren seine Worte … zweifellos zu erwarten .«
    »Ihr Mann hatte mit anderen Worten kein besonders gutes Verhältnis zu seiner Schwester?«
    »Nein«, antwortete Lisbeth Mattson, »die beiden hatten wirklich kein gutes Verhältnis zueinander. Mit ihr … ja, mit ihr stimmte etwas nicht. Schon bevor … schon bevor es dann kam, wie es wohl kommen musste.«
    Aber sie klang nicht aggressiv, fiel Barbarotti auf. Es hörte sich eher an, als würde sie etwas wiederholen, was viele lange Jahre eine Art Kehrreim und eine traurige Selbstverständlichkeit gewesen war. Der verstorbene Ehemann hatte in der Kvarngatan in Hallsberg mit Sicherheit auch entschieden, wo der Schrank stehen sollte; er hatte diese Kehrreime verfasst, und Barbarotti beschloss, in der Geschichtsschreibung ein wenig weiterzugehen.
    »Wie war der Kontakt zwischen Ellen und dem Jungen, während sie im Gefängnis saß?«, fragte er.
    »Wie bitte?«, sagte Lisbeth Mattson, als hätte sie die Frage nicht verstanden.
    »Der Kontakt zwischen Billy und seiner Mutter?«, wiederholte er.
    Sie antwortete nicht sofort. Ihr Mund bewegte sich spärlich, und er begriff, dass sie mit unwilligen Worten rang. Er wartete.
    »Billy nennt mich Mutter«, erklärte sie. »Ja, so ist es.«
    »Ich verstehe«, sagte Barbarotti. »Nun, er wohnte ja lange bei Ihnen, sodass dies vielleicht auch ganz natürlich ist. Wie lange eigentlich?«
    »Fast zwölf Jahre«, antwortete sie.
    Er wusste, dass es kaum mehr als neun oder zehn gewesen sein konnten, fragte aber nicht nach. »Und dann?«, erkundigte er sich stattdessen.
    »Nach seinem Wehrdienst lernte er Juliana kennen und zog nach Stockholm.«
    Ein weiterer Konfliktpunkt, das ließ sich nicht überhören. Als sie den Frauennamen aussprach, tauchte vor Barbarottis innerem Auge das Bild eines Vegetariers auf, der sich versehentlich ein Fleischbällchen in den Mund gesteckt hatte und es schleunigst wieder loswerden musste. Es war ein ebenso unerwartetes wie treffendes Bild, aber er saß nicht als Dichter oder Therapeut in diesem unbequemen Sessel und nahm deshalb an, dass er ein bisschen mehr Ordnung in das Gespräch bringen sollte. Es zumindest versuchen sollte.
    »Mir ist bewusst, dass all diese Dinge mit intensiven Gefühlen verbunden sind«, sagte er. »Aber ich bin im Grunde nur daran interessiert, Antworten auf eine Reihe ganz einfacher Fragen zu bekommen. Also, wie oft besuchte Billy seine Mutter während ihrer Zeit im Gefängnis?«
    »Ein Mal«, antwortete Lisbeth Mattson.
    »Ein Mal?«
    »Ja.«
    »Sie sagen, dass der Junge seine Mutter in elf Jahren nur ein einziges Mal besucht hat?«
    Aber Lisbeth Mattson konnte daran offensichtlich nichts befremdlich finden. »Ein Schulpsychologe organisierte das«, erläuterte sie. »Wir hielten nichts von der Idee, und Billy ging es hinterher gar nicht gut.«
    »Wann war das?«, erkundigte sich

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