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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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geschlossen. Ihn einfach nur festgehalten, ihn gewiegt, wenn dies möglich gewesen wäre, und versucht, ihm eine Art Geborgenheit zu vermitteln. Zuversicht und Hoffnung oder was auch immer.
    Aber er mochte es nicht, umarmt zu werden. Dann wurde er unweigerlich schwer und steif, noch schwerer, wenn man es versuchte, sie wusste nicht, warum, aber man spürte eindeutig, dass er es unangenehm fand. Als wäre er in irgendeiner traurigen Weise ein Feind seines eigenen Körpers und deshalb auch ein Feind der Körper aller anderen.
    Dann fiel ihr ein, dass Samstag war.
    Harry hielt sich in der Stadt auf, und dass er sich Gedanken über etwas machen würde, was jenseits seiner eigenen Bedürfnisse lag, erschien ihr unwahrscheinlich. Verkatert und gereizt. Sie dachte einen Moment nach.
    »Wollen wir einen Spaziergang machen?«, sagte sie. »Wir könnten zur Tanke gehen. Und dir Samstagssüßigkeiten kaufen?«
    Er blickte auf, und sein ganzes Gesicht hellte sich auf.
    »Jaa …«
    Die Shell-Tankstelle lag nur fünfhundert Meter vom Burmavägen entfernt bei Hamrakorset, so dass es hin und zurück gerade einmal gut zwei Kilometer waren. Es war eine vielbefahrene Strecke, und wenn man nur ein paar Kleinigkeiten einkaufen wollte, lag die Tanke am nächsten. Milch, Zigaretten oder eine Zeitung. Harry nahm immer das Auto, sie und Billy fuhren normalerweise mit dem Fahrrad. Aber ihr Fahrrad war seit gestern platt, und auf Harrys klappriges Herrenrad wollte sie nicht steigen.
    Außerdem schien Billy nichts dagegen zu haben, zu Fuß zu gehen. Außerdem war das Wetter schön, ein richtiger Vorsommertag mit blauem Himmel und sachte treibenden Wolken, und wenn sie den Blick über die grünenden Felder rund um Groß- und Klein-Burma schweifen ließ, dachte sie, dass solche Tage dafür geschaffen waren, glücklich zu sein. Und zwar einfach darüber, dass man leben durfte.
    Das war wieder einer von diesen Gedanken, die in ihrem Kopf lediglich als staubfangende Konstruktionen existierten. Glück? Freude? Dass solche Hollywoodleckereien in ihre Reichweite gelangen könnten, ließ sich nicht einmal hoffen. Die guten Dinge dieser Welt gehörten nicht zu ihrer Welt, es wäre lächerlich, sich so etwas einzubilden. Sie hätte gerne die Hand des Jungen gehalten, aber dafür galt das Gleiche. Es war nur ein Gedanke.
    Als sie sich Groß-Burma näherten, sah sie, dass die Autos der Handwerker dort auch an diesem Tag parkten. Die Arbeit am Swimmingpool eilte offenbar, im Sommer sollte er natürlich fertig sein. Vielleicht sogar schon am nächsten Freitag, dem letzten Schultag? Vielleicht würden Tomas und Erik ja Besuch von Klassenkameraden bekommen. Oder Inger. Eingeladen, um zum Auftakt der Sommerferien im blauen Wasser des Pools zu schwimmen? Verteufelt vornehm, ja, so musste es natürlich sein.
    Sie überlegte, dass es ziemlich teuer sein dürfte, Handwerker an einem Samstag zu beschäftigen, aber auf Groß-Burma herrschte, wie gesagt, niemals Geldmangel. Und der regelmäßige Seitensprung auf Klein-Burma kostete ja nichts. Abgesehen von einem kleinen, gestundeten Darlehen, das ihnen vermutlich nicht wehtat.
    Sie ließ die Gedanken zu den Cousins und ihren Höfen abschweifen, es war ein vertrauter Gedankengang auf ausgetretenen Pfaden.
    Wie vorgezeichnet alles irgendwie von Anfang an gewesen war; damals, als Harrys und Görans Väter, die Gebrüder Helgesson, vor fünfzig Jahren als Siedler hergekommen waren. Damals hatte es hier nur zwei kleine Soldatenhäuschen gegeben, nicht einmal eine richtige Straße führte zu ihnen; deshalb hatten sie den Burmavägen anlegen müssen. Der Name bezog sich auf irgendetwas im fernen Asien, einen anderen berühmten Straßenbau zur selben Zeit, aber die Geschichte kannte sie nicht genau. Jedenfalls hatte jeder der Brüder einen neuen Hof erbaut, Land urbar gemacht und sich in der Gegend etabliert; sie hatten Geld von einem Erbhof unten in Halland mitgebracht, und soweit Ellen bekannt war, hatte der eine nicht mehr gehabt als der andere. Oder war es doch so gewesen? Hatte Sven, der ältere Bruder und Görans Vater, womöglich von Anfang an mehr Geld im Koffer gehabt als Arvid, Harrys Vater? Sie wusste es nicht, darüber wurde nie gesprochen, aber dass sich die Höfe schon früh unterschiedlich entwickelt hatten, das wusste sie. Schon die Namen, Groß- und Klein-Burma, verrieten einem doch, wie das Kräfteverhältnis ausgesehen hatte. Genau wie ihre Lage: Svens Hof auf der Anhöhe mit Blick auf alles rundherum,

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