Am Abend des Mordes - Roman
Arvids am Waldrand kauernd.
Sie lebten nicht mehr. Hatten die Höfe jeweils ihren Söhnen vererbt. Harry war Einzelkind, Göran hatte noch eine jüngere Schwester, die bereits in jungen Jahren einen Zahnarzt geheiratet hatte und auf die Art von der Bildfläche verschwunden war. Sie lebte im norwegischen Trondheim, und obwohl Ellen seit mittlerweile vierzehn Jahren auf Klein-Burma lebte, war sie ihr erst drei Mal begegnet. Zwei Mal bei Beerdigungen, Svens 1977 und Arvids zwei Jahre später.
Und die Frauen auf den Höfen, sponn sie ihren Gedankengang weiter, war es nicht so, dass sie nicht wirklich zählten? Harry sprach nie über seine Mutter, die Ende der fünfziger Jahre an einer Lungenkrankheit gestorben war. Und über Svens Frau, Görans Mutter, wusste sie so gut wie nichts. Sie lag im Pflegeheim, und das hatte sie schon getan, als Ellen nach Burma gekommen war. Inzwischen musste sie fast neunzig sein. Hieß Louise wie die frühere Königin.
Harry war folglich nicht älter als zehn oder elf gewesen, als seine Mutter das Zeitliche gesegnet hatte, und sie dachte, dass dies natürlich Spuren hinterlassen hatte. Genau wie der Tod ihrer eigenen Mutter. Es ging ihr durch den Kopf, dass dies so eine Phrase war, die im Grunde nichts bedeutete. Das hinterlässt Spuren . Das war so selbstverständlich wie nichtssagend. Alles hinterließ doch Spuren. Sollte der Tod seiner Mutter etwa als Erklärung dafür herhalten, dass Harry dreißig Jahre später seine Frau schlug?
War Arvid genauso verbittert gewesen wie sein Sohn? So lautete eine andere Fragestellung, über die sich trefflich nachgrübeln ließ. Wurde das automatisch vererbt? Hatte Vater Arvid sein Leben vergrämt und zornig auf Klein-Burma verbracht, wie Harry es nun auch tat? Er hatte sich jedenfalls nicht darüber gefreut, dass er einen Enkel bekommen hatte, daran erinnerte sie sich noch; Billy war knapp zwei Jahre alt gewesen, als sein Großvater starb, und es war unklar, ob der Junge sich an den Greis erinnern konnte.
Leben und Tod. Generation auf Generation. Dasselbe Lied?
Sie selbst war nach Klein-Burma gekommen, weil sie ein Kind erwartete. So einfach war das. Das erste Kind, ein Mädchen, hatten sie zwei Monate vor dem Geburtstermin verloren, aber da war es bereits zu spät gewesen. Da waren sie schon verheiratet gewesen, Harry und sie.
Während sie weiter zwischen den Feldern hindurch trotteten, dachte sie auch ein wenig über ihre eigene Familie nach, es drängte sich auf. Über ihre Mutter, die nicht ganz dicht gewesen war und sich das Leben genommen hatte. Über ihren Bruder und ihren Vater, zwei schweigsame Männer; sie konnten zwar sprechen, es war nicht wie bei Billy, aber die meiste Zeit schwiegen sie lieber. Als Ellen achtzehn war und einen zweijährigen Gymnasialzweig für weniger talentierte junge Menschen absolviert hatte, war ihr ein Job bei der Firma AB Köttman in Göteborg angeboten worden. Eine ihrer Lehrerinnen, die sie aus irgendeinem Grund mochte, hatte ihr die Stelle vermittelt, ihr Mann war dort damals eine Art Vorarbeiter.
Warum nicht, hatte ihr Vater gesagt. Geh ruhig weg. Gunder war da schon zwei Jahre weg gewesen. Wohnte in Katrineholm und arbeitete für die Bahn.
Und in Göteborg hatte sie dann in einem Tanzlokal Harry kennen gelernt. Nach nur zwei Monaten. Sie waren besoffen gewesen und geil geworden, und er hatte sie zu ihrer erbärmlich kleinen Einzimmerwohnung im Stadtteil Majorna begleitet. Anfangs hatte sie es in Gedanken mit anderen Worten beschrieben, aber mit der Zeit war das Bedürfnis zu beschönigen verblasst.
Besoffen und geil, das traf es. Und dann wurde sie, wie gesagt, schwanger.
Und stellte sich, wie gesagt, den Konsequenzen.
Wie gesagt , dachte sie. Ja, es ist nun wirklich alles schon einmal gesagt worden. Und nun habe ich, seit geraumer Zeit, etwas mit zwei Cousins. Verheiratet mit dem einen, Hure für den anderen.
Die Frau zweier Männer.
Ich sollte nur Billy gehören.
Sie hatten Groß-Burma hinter sich gelassen, aber als sie gerade auf die lange Gerade zur Landstraße hinunter gelangten, als sie das wildwüchsige Fliedergebüsch zur Rechten hinter sich gelassen hatten, kam die Muti-Stimme zu ihr. Klar und deutlich, wie sie immer klang. Und diesmal sprach sie nicht zu irgendeinem frisch eingestellten Busfahrer.
Jemand spürt dir nach , sagte sie.
Augenblicklich überkam sie das Gefühl, dass es stimmte. Dass jemand ganz in ihrer Nähe stand und sie und Billy beobachtete.
Sie hielt mitten im
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