Am Anfang des Weges
öfter, als wir glauben wollen.
Alan Christoffersens Tagebuch
Am Mittwochnachmittag rief Falene an. Ich wollte ihren Anruf eigentlich nicht entgegennehmen, aber ich tat es trotzdem. In der letzten Woche hatte sie bereits mehrmals angerufen und die Nachricht hinterlassen, dass sie dringend mit mir sprechen müsse. Sie war überrascht, meine Stimme zu hören. »Alan?«
»Hi, Falene.«
»Wie geht es McKale?«
»Die Schädigung ihrer Nerven ist bleibend.«
Falene stöhnte leise auf. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme sehr bewegt. »Es tut mir so leid.« Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie: »Was kann ich tun?«
»Niemand kann irgendetwas tun«, sagte ich wütend. »Wenn es so wäre, hätten wir es getan.« Falene schwieg. Einen Augenblick später sagte ich: »Entschuldige. Es geht mir nicht gut.«
»Das verstehe ich.«
»Worüber wolltest du mit mir reden?«
Sie zögerte. »Das kann warten«, sagte sie. »Es wird sich schon eine Lösung finden. Grüß McKale von mir.«
Ich dachte kurz über ihren Kommentar nach, schob den Gedanken aber wieder beiseite. »Na schön, dann sprechen wir uns später.«
Kyle rief später an diesem Abend an. »Wie geht es McKale?«
»Sie ist gelähmt.«
Kyle schwieg einen Augenblick. »Das tut mir leid, Mann. Ich wünschte, ich könnte irgendetwas tun.«
Ich schniefte. »Ja, klar.«
»Ich habe heute Morgen mit Wathen gesprochen. Er hat gefragt, wie es dir geht.«
»Sag ihm, es geht schon. Und dank ihm für die Blumen.«
»Mache ich. Er wollte wissen, wann sie die letzten Grafiken sehen könnten, daher habe ich Ralph darauf angesetzt. Und noch was: Du hast das Studio für die Aufnahmen von Coiffeur am Dienstag gebucht. Hast du schon ein Model ausgewählt?«
Ich fuhr mir mit den Fingern durchs Haar. »Nein. Ich habe die Modelauswahl für Donnerstag angesetzt.«
»Donnerstag – du meinst, morgen?«
Ich hatte keine Ahnung, welcher Tag heute war. »Entschuldige. Kannst du dich darum kümmern?«
»Für eine Modelauswahl bin ich immer zu haben.«
Ich atmete aus. »Es tut mir leid, dass ich dir das alles aufhalse, Kyle. Ich kann einfach noch nicht zurück in diese Welt.«
»Mach dir keine Sorgen. Ich werde mich um alles kümmern. Übrigens, hat Falene in letzter Zeit angerufen?«
»Heute Nachmittag.«
Er schwieg einen Augenblick. »Was hat sie gesagt?«
»Nicht viel. Sie hat sich nur nach McKale erkundigt.«
»Ach ja?« Er klang überrascht. »Gut. Das ist gut. Na ja, ich mache besser Schluss. Grüß McKale von mir.«
»Danke, Kyle.«
»Gern geschehen.«
Neuntes Kapitel
Je mehr dir jemand versichert,
dass alles gut ist,
desto sicherer kannst du dir sein,
dass es das nicht ist.
Alan Christoffersens Tagebuch
Am nächsten Tag wurde McKale von der Intensivstation in die Reha-Abteilung des Krankenhauses verlegt. Die nächsten drei Wochen verbrachte ich an ihrer Seite. Ich blieb jeden Abend, bis sie eingeschlafen war. Eines Abends war ich so erschöpft, dass ich ausnahmsweise gehen wollte, bevor sie eingeschlafen war, doch sie flehte mich an zu bleiben. Sie hatte Angst, und sie klammerte sich an mich, wie sich ein Mensch an einen Ast am Rand eines Wasserfalls klammert. Vielleicht aus demselben Grund.
Ich hasste die Reha. Ich hasste allein schon das Wort. Es war irreführende Werbung. Nichts wurde rehabilitiert. Ihr einziger Zweck bestand darin, McKale an ein Leben im Rollstuhl zu gewöhnen, und das erwies sich als schwieriger, als wir gehofft hatten, da ihr Oberkörper nicht die Kraft aufbringen konnte, das dafür Erforderliche zu tun.
Neben der Physiotherapie gab es auch »emotionale Unterstützung«. Ein ganzes Heer von Therapeuten spuckte mehr Versprechungen aus als ein nächtliches Infomercial. Sie können alles schaffen, auf Berge zu steigen, bringt uns nur höher, Sie können ein ganz normales Leben führen, Ihr Leben kann genauso erfüllt sein, wie es davor war, bla, bla, bla .
McKale nannte es einen »erbärmlichen Abklatsch eines Motivationstrainings«.
Sie nahm ihnen nichts von alledem ab.
In jenen ersten Wochen nach dem Unfall waren die einzigen beruflichen Anrufe, die ich neben denen von Kyle und Falene bekam, wiederholte Anrufe von zweien meiner Kunden, Wathen und Coiffeur. Jedes Mal, wenn sie anriefen, schrieb ich Kyle eine SMS und bat ihn, sich darum zu kümmern. Ich konnte einfach nicht in zwei Welten leben. Ich wusste es sehr zu schätzen, dass Kyle für mich einsprang, doch ich wusste auch, dass es so nicht mehr viel länger weitergehen
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