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Am Anfang des Weges

Am Anfang des Weges

Titel: Am Anfang des Weges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Paul Evans
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drei Reisegefährten, die mich verfolgten: Trauer, Verbitterung und Verzweiflung. Hin und wieder konnte ich sie vielleicht für eine Weile abschütteln, aber sie holten mich immer wieder ein. Ich fragte mich, wie stark ihre Beine waren und wie viele Meilen weit sie mich verfolgen würden und über wie viele bundesstaatliche Grenzen hinweg. Den ganzen Weg?
    Ich konnte kaum glauben, dass ich noch heute Morgen in einem Zwei-Millionen-Dollar-Haus mit einem computergesteuerten Alarmsystem, einem überdimensionalen Himmelbett mit Kaltschaummatratze und ägyptischer Baumwollbettwäsche mit einer Fadenzahl von hunderttausend gelebt hatte. (Beim letzten Punkt habe ich vielleicht ein bisschen übertrieben.) Jetzt lebte ich in einem Zelt. Meine ganze Welt war auf den Kopf gestellt. Ich wollte McKale davon erzählen. Sie würde sagen: »Ich kann nicht glauben, dass du das tatsächlich tust.« Und dann würde sie sagen: »Doch, ich kann es. Du bist ein Traumjäger.«
    Ich begriff, dass mein Leben von jetzt an genau so sein würde – ich würde nicht unbedingt in einem Zelt leben, aber doch in einem krassen Gegensatz zu meiner früheren Existenz. So wie der Gregorianische Kalender mit seinem Anno Domini die Zeit teilte, würde mein Leben von nun an geteilt sein – in vor und nach McKale.
    Ich war so lange mit ihr zusammen gewesen, dass mich nicht nur alles an sie erinnerte, sondern auch alles, was ich erlebte, in einem Bezug zu ihr stand – was sie mochte oder hasste, worüber sie lachte oder was sie mir zuliebe ertrug.
    Ich konnte nicht glauben, dass ich für den Rest meines Lebens ohne sie leben musste.

Vierundzwanzigstes Kapitel
    Heute habe ich einen Mann ohne Hände getroffen. Er ist eine lebende, atmende Metapher meines Lebens.
    Alan Christoffersens Tagebuch
    Ich wurde von Vögeln geweckt. Ich weiß nicht, welche Spezies es war, auf jeden Fall eine lästige. Der Krach war vermutlich meine Schuld. Wahrscheinlich schrien sie mich einfach dafür an, dass ich in ihre Welt eingedrungen war.
    Kaum dass ich aufgewacht war, war der Schmerz wieder da. Falls Sie selbst je einen Verlust erlitten haben, wissen Sie, was ich meine. Jeder Morgen seit McKales Tod war so gewesen – sobald ich wach war, spürte ich binnen weniger Momente, wie sich die Schwere der Trauer wieder über mich legte. Sie war zumindest zuverlässig, die Trauer.
    Ich richtete mich in meinem Zelt auf und massierte meine Beine. Meine Waden schmerzten von dem langen Marsch am Tag zuvor. Ich schätzte, dass ich an die zwanzig Meilen zurückgelegt hatte. So weit war ich an einem Tag nicht mehr gelaufen, seit McKale uns für den Muskelschwund-Benefizlauf angemeldet hatte. Ich hätte ein paar Dehnübungen machen sollen, bevor ich mich schlafen legte. Ich hatte einfach nicht daran gedacht. Ich hatte zu viele andere Dinge im Kopf.
    Ich öffnete meinen Rucksack und nahm eine Packung Pop-Tarts und den Orangensaft heraus. In jeder Packung waren zwei Pop-Tarts, aber ich aß nur eines und packte das andere wieder ein. Die Flasche Saft trank ich ganz aus. Dann nahm ich meine Rasierklingen und die Rasiercreme und ging zum Ufer, um mich zu rasieren. Das Wasser war kalt und erfrischte mich, als ich es mir ins Gesicht klatschte, um die Rasiercreme abzuwaschen. Es färbte sich milchig weiß. Ich bin weich , dachte ich. Ich bin weich geworden .
    McKales und meine Vorstellung von einer wilden Auszeit war ein Hotel ohne Rund-um-die-Uhr-Zimmerservice. Ich habe einmal gelesen, dass die Männer im Wilden Westen es vermieden hätten zu baden, weil sie glaubten, warmes Wasser würde sie schwach machen. Vielleicht hatten sie Recht. Warmes Wasser hatte mich schwach gemacht.
    Als ich mein Rasierzeug wieder einpackte, klingelte mein Handy, und ich zuckte zusammen. Ich hatte ganz vergessen, dass ich es dabeihatte. Instinktiv sah ich nach, wer der Anrufer war, aber ich kannte die Nummer nicht, daher nahm ich den Anruf nicht entgegen. Das Telefon war meine letzte Verbindung zu der Welt, die ich hinter mir gelassen hatte. Es war mehr als eine Verbindung – dieses schicke Teil war voll mit Kontakten, Terminen und Geschichte – ein Miniatur-Abbild der Welt, vor der ich davonlief. Ich tat, wovon jeder Handybenutzer schon einmal geträumt hat – ich schleuderte das Telefon, so weit ich konnte, in den See. Es verursachte kaum einen Spritzer.
    Ich stopfte meine Habe wieder in meinen Rucksack. Dann verließ ich mein erstes Lager und stieg die steile Böschung hinunter, um zurück zur Straße zu

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