Am Anfang des Weges
schmaler und gefährlicher geworden. Verschlimmert wurde die Lage noch dadurch, dass langsame Autofahrer in dieser Stadt nicht geduldet wurden. Es ist meines Wissens der einzige Ort, in dem Autofahrern auf Warnschildern mit einem Strafzettel gedroht wird, falls sich hinter ihnen mehr als fünf Wagen zu einer Kolonne stauen sollten. Die vorgeschlagene Lösung hieß »Seitenstreifen-Fahren« und war ganz klar ein Risiko für Radfahrer und Fußgänger. Baring war keine Stadt, in der man nach Sonnenuntergang zu Fuß unterwegs sein sollte – jedenfalls nicht, wenn man am Leben bleiben wollte.
In Skykomish kehrte ich mittags in dem einzigen Lokal ein, das ich finden konnte, dem Sky Deli. Die nächste Stadt war weiter entfernt, als ich heute noch laufen konnte, daher fand ich mich damit ab, dass dies meine letzte warme Mahlzeit für diesen Tag sein würde. Ich bestellte mir Spagetti mit Ragout und Knoblauchbrot. Ich wartete, bis sich das Essen ein wenig gesetzt hatte, und machte mich dann wieder auf den Weg.
Bei Meilenstein 56 hatte ich an die 25 Meilen zurückgelegt. Dass es fast ununterbrochen bergauf gegangen war, hatte ich auch ohne die Höhenschilder gemerkt, die jetzt in regelmäßigen Abständen in den Boden geschlagen waren. Ich konnte es in den Waden spüren. Das erste dieser Schilder befand sich auf einer Höhe von 1500 Fuß. Dort sah ich auch zum ersten Mal Schnee auf der Straße liegen.
Bei Einbruch der Dämmerung bekam ich Krämpfe in den Beinen, und ich begann, entschlossen nach einem Platz zum Zelten Ausschau zu halten. Es boten sich allerdings kaum Möglichkeiten, da das Gelände zu beiden Seiten der Straße steil abfiel. Eine Stunde später fragte ich mich ernsthaft, wie weit ich noch laufen konnte, und verfluchte mich dafür, dass ich heute nicht schon früher Schluss gemacht hatte. Ich überlegte sogar, ob ich die sieben Meilen dorthin zurücklaufen sollte, wo ich zuletzt einen Campingplatz gesehen hatte, aber der Gedanke, all diese hart erarbeiteten Meilen wieder zu einzubüßen, war zu quälend, daher trottete ich einfach weiter und hoffte auf irgendetwas.
Im Verlauf der nächsten Meile führte der Weg auf 1800 Fuß hinauf, ein Höhenunterschied von 300 Fuß, von dem auch die immer größeren Schneemengen auf dem Berg und den Seitenstreifen zeugten. Meine Oberschenkel und Waden brannten, während mein Atem vor mir gefror. Ich war fast am Ende meiner Kräfte, als ich in der Dunkelheit ein Schild sah, das den Campingplatz Deception Falls ankündigte. Ich verspürte große Erleichterung.
Ich überquerte die Straße, erreichte den Campingplatz und stieg über die Kette, mit der der Eingang versperrt war. Der Platz war zu dieser Jahreszeit geschlossen. Auf dem Parkplatz standen »Zelten verboten«-Schilder, aber das schreckte mich nicht ab. Ich konnte nicht mehr. Ich hatte keine andere Wahl, als für heute Schluss zu machen.
Die öffentlichen Toiletten waren verschlossen. Ich folgte einem schmalen Wanderweg in ein dunkles, nasses Tal. Der Fluss und die Wasserfälle dröhnten laut genug, um den Lärm des Highways zu übertönen. Das Laub war dicht und grün und hier und da mit etwas Schnee bedeckt. Alles schien von Moos überwachsen zu sein, und ich war sicher, dass das Ökosystem auch von mir Besitz ergreifen würde, wenn ich nur lange genug hierbliebe.
Die Wasserfälle waren nicht allzu hoch, aber stark, ein Zusammentreffen gewaltiger Wassermassen aus den Bergen, die sich über eine Reihe spitzer, felsiger Abhänge dreißig oder noch mehr Meter in die Tiefe ergossen. Der Inschrift auf dem hölzernen Parkschild zufolge schoss das Wasser hier mit einer Kraft von sieben Tonnen herab. Unten auf dem Schild stand ein Zitat:
»Nichts ist so schwach wie Wasser,
aber wenn es angreift und beharrlich ist,
kann ihm nichts standhalten.«
– Laotse
Unter diesem Zitat standen die handgeschriebenen Worte:
Alle Wasserfälle sind vergänglich. Eines Tages wird all das hier abgetragen sein, und der Fluss des Wassers wird sich einfach langsam von einem Ort zu einem anderen verlagern. Alles vergeht mit der Zeit.
Jeder ist ein Philosoph , dachte ich. Die Worte mochten wahr sein, aber zu meinen Lebzeiten würde sich hier nichts ändern.
Auf dem Weg vor mir standen noch ein paar »Zelten verboten«-Schilder. Um diese Jahreszeit sollten die Leute hier nicht einmal wandern gehen. Ich bezweifelte zwar, dass die Parkaufsicht hier so spät in der Saison noch patrouillierte, aber für alle Fälle suchte ich mir doch eine
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