Am Anfang des Weges
nach dem Pass. Ich war froh darüber, da das Gehen nicht nur meinem Geist, sondern auch meinem Körper widerstrebte. Ich hatte das Gefühl, ihn zu jedem Schritt zwingen zu müssen. Ich setzte meine Hoffnung auf die nächste Stadt.
Anderthalb Stunden später erspähte ich ein Gebäude im Fünfzigerjahre-Stil mit leuchtend rosa Wimpeln und einem Neonschild, das WELTBERÜHMTE SHAKES versprach. Der 59er-Diner war ein relativ ehrgeiziges Projekt für eine Tankstellen-Stadt an einer Durchfahrtsstraße, aber ich war überglücklich, ihn zu sehen.
An der Ostseite des Gebäudes befand sich ein kleiner Garten mit einem saftigen Rasen und einem Holzzaun, der geschmückt war wie für einen Hinterhofverkauf. Er war verziert mit alten Fahrrädern und roten Radio-Flyer-Wagen, einer Parkuhr, rosa Flamingos und einem Paar Autokino-Lautsprecher.
Hinter dem Garten befanden sich drei kleine Bungalows. Sie waren hell angestrichen, sauber und etwa doppelt so groß wie die Hütte, in der ich die Nacht verbracht hatte. Sie sahen heute vermutlich noch genauso aus, wie sie vor ein oder zwei Jahrzehnten ausgesehen hatten.
Ich ging auf das Restaurant zu, hielt die Tür auf, als mir drei Frauen von drinnen entgegenkamen, und trat dann in einen warmen Raum, in dem es köstlich nach Eiscreme und Pfannkuchenteig duftete. Die Inneneinrichtung war knallig bunt und bestand überwiegend aus Fünfzigerjahre-Relikten. Es gab eine neonbeleuchtete Vintage-Jukebox, in der Vinyl-45er liefen – gerade ertönte Elvis’ »Jailhouse Rock« –, und einen Bartresen hinter Barhockern mit Chromgestänge.
Dem Laden war es ernst mit seinen angeblich weltberühmten Shakes. Auf einer Wandtafel standen die Zahl 23 429 – die Anzahl der Shakes, die in diesem Jahr bisher verkauft worden waren – und ein Appell an die Gäste, zu helfen, den Jahresrekord von 27 462 zu brechen.
Eine hochgewachsene, flachsblonde Frau kam auf mich zu. Sie trug eine rosa Schürze und ein Namensschild, auf dem BETTY SUE stand. »Hübscher Hut«, sagte sie. »Sind Sie allein, Süßer?«
»Ja, Ma’am.«
»Na, dann hier entlang.«
Sie führte mich an einen runden, laminatbeschichteten Tisch im hinteren Teil des Restaurants. »Wie wär’s hier?«
»Wunderbar. Danke.«
»Ihre Kellnerin wird gleich bei Ihnen sein.«
Ich nahm meinen Rucksack ab und lehnte ihn gegen die Wand. Dann warf ich meinen Hut auf den Tisch und zog den Poncho aus. Ich rollte ihn zusammen, stopfte ihn in den Rucksack und setzte mich. Die Wände zierte eine Fünfzigerjahre-Collage aus alten Nummernschildern, Life -Titelbildern, Elvis-Souvenirs, Plattencovern, antiken Coca-Cola- und Pepsi-Schildern und Pin-up-Bildern von Fünfzigerjahre-Stars: Marilyn Monroe, Marlon Brando, James Dean und Lucille Ball.
Außerdem gab es gedruckte Reklameposter aus den Fünfzigerjahren, darunter eines für ein Bügeleisen, das 30 Prozent schneller zu bügeln versprach (und so viele Frauen benutzen es!), und ein anderes für kalte Kompressen für »müde Augen«.
Über mir an der Wand war ein kleiner Schwarz-Weiß-Fernseher angebracht, auf dem The Three Stooges liefen. Ich war aufrichtig beeindruckt davon, wie viel Mühe man in diesen Laden gesteckt hatte – und das nicht nur, weil ich die Nacht auf einer Müllkippe verbracht hatte.
Ich nahm eine Speisekarte aus dem Chromständer und sah mir die Frühstücksangebote an. Bananenpfannkuchen mit Eiern kosteten nur 2,99 Dollar. Brötchen mit Wurstsauce 3,49 Dollar. Das waren gute Aussichten.
Dann kam meine Kellnerin. Sie war etwas über einen Meter fünfzig groß und füllte die Jeans, die sie trug, kaum aus. Sie hatte lange braune Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, und dunkle, mandelförmige Augen. Sie sah mich an, als würde sie mich kennen.
»Hallo. Hübscher Hut.«
»Danke.«
»Ich bin Flo.« Die Vorstellung war überflüssig, da auf ihrer Brust ein nummernschildgroßes Namensschild prangte.
»Flo«, wiederholte ich. »Wie heißen Sie wirklich?«
Sie lächelte. »Wissen Sie, in den drei Jahren, die ich jetzt schon hier bin, sind Sie der Erste, der mich das fragt. Eigentlich heiße ich Ally.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Ally.«
Sie stemmte die Hände in die Hüften, dann fragte sie: »Geht es Ihnen gut?«
Ich wunderte mich über ihre Frage. »Na klar. Ein bisschen nass. Ein bisschen sehr nass. Aber ansonsten geht es mir gut.«
Sie nickte. »Okay. Wollen Sie schon bestellen?«
»Ja. Ich nehme die Bananenpfannkuchen und die Brötchen mit
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