Am Anfang eines neuen Tages
du ihn bloßgestellt hast.“
Josephine vergrub das Gesicht eine Weile in ihren Händen und fragte dann: „Hätte ich wegsehen und zulassen sollen, dass Daniel einen Mord verübt? Der Krieg ist vorbei. Wir können nicht weiter Yankees töten, egal, was wir von ihnen halten.“
„Was für ein Durcheinander …“, murmelte ihre Mutter.
„Ich weiß, aber müssen wir es heute lösen? Können wir nicht abwarten und sehen, was passiert, bevor wir Mrs Blake sagen, dass ich Harrison nicht heiraten kann? Wir müssen doch noch nichts sagen, oder?“
„Es ist nicht fair, sie hinzuhalten. Sie setzt große Hoffnungen in diese Ehe. Mit jedem Tag, den wir warten, werden diese Hoffnungen größer und sie malt sich eine Zukunft gemeinsam mit dir und Harrison aus. Mrs Schreiber kann ich sagen, dass du anderweitig vergeben bist, und sie wird keine Fragen stellen. Aber Priscilla hat ein Recht zu erfahren, warum.“
„Hat das nicht noch ein paar Tage Zeit?“ Josephine versuchte verzweifelt, Zeit zu gewinnen. Vielleicht würde Alexander ja wirklich eine Lösung finden.
„Also gut. Wir brauchen wohl alle etwas Zeit, um uns von diesem Schock zu erholen.“ Jos Mutter richtete sich auf und machte Anstalten aufzustehen. „Und jetzt muss ich mich um die arme Mary kümmern. Sie ist verständlicherweise ganz außer sich.“
Josephine erhob sich ebenfalls und überlegte, wie viel sie ihrer Mutter noch erzählen sollte. „Mutter … es gibt noch etwas, das ich tun muss, aber dazu brauche ich Willy und die Kutsche.“
„Oh, Josephine. Bitte verlange nicht von mir, dass ich noch etwas akzeptiere. Ich glaube nicht, dass ich noch mehr ertragen kann.“
„Es ist nichts Schlimmes, das verspreche ich. Vertrau mir.“
„Es tut mir leid, aber du hast mein Vertrauen verspielt. Sag mir, worum es geht, dann werde ich entscheiden.“
„Gestern Nacht, als ich Alexander gewarnt habe, wollte er nicht, dass die Schulbücher der Kinder noch einmal verbrennen. Er hat eine Kiste voll vor dem Feuer gerettet und wir haben sie hinter dem Bahnhof versteckt. Ich möchte in die Stadt fahren und sie holen.“
„Und was willst du dann damit machen?“
„Sie sind für die schwarzen Kinder. Damit sie lesen und –“
„Nein. Lass es gut sein, Josephine. Diese Schule hat uns schon genug Probleme bereitet. Es ist eindeutig, dass die Leute hier sie nicht wollen. Ich will nicht, dass du weiterhin etwas damit zu tun hast.“
Josephine brachte es nicht übers Herz, mit ihr zu streiten. Sie hatte ihre Mutter ohnehin schon sehr tief verletzt. Mutter sah ebenso müde und kummervoll aus wie nach Daddys Tod.
„Na gut“, sagte Josephine seufzend.
Lizzies Kinder zu unterrichten, hatte sie glücklich gemacht. Rufus mit seinem scharfen Verstand und dem Lerneifer, Jack mit seinem unschuldigen, vertrauensvollen Wesen und Roselle, die so süß und hübsch und voller Hoffnung für ihre Zukunft war, in der sie Lehrerin werden wollte. Die drei neuen Kinder waren auch entzückend, aber sie würde keins von ihnen unterrichten können, ohne noch einen Skandal heraufzubeschwören.
Was sollte Josephine mit den langen, einsamen Tagen anfangen, die vor ihr lagen? Der Traum, einen Mann zu heiraten, den sie liebte und der sie ebenfalls liebte, war eben genau das – ein Traum. Wieder dachte sie an Alexanders Küsse und das Gefühl, seine Arme um sich zu spüren, und sie wünschte – so inbrünstig, wie ihre Mutter es wahrscheinlich tat –, sie hätte ihn nie kennengelernt, sich nie in ihn verliebt.
Josephine wanderte durch die leeren Räume von White Oak und sehnte sich nach jemandem, mit dem sie reden konnte. Sie wusste, dass ihre Familie nicht mit ihr würde reden wollen – doch dann fielen ihr Lizzie und Otis ein. Sie hatte ihnen noch gar nicht dafür gedankt, dass sie in der vergangenen Nacht ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten, um ihr zu helfen. Vielleicht könnte einer von ihnen oder von den anderen in die Stadt gehen und die Schulbücher retten. Sie ging durch die Hintertür nach draußen und sah, dass Otis jenseits der Ställe auf seinem Baumwollfeld arbeitete. Die Köpfe von Jack und Rufus, die an seiner Seite arbeiteten, waren über den Baumwollpflanzen gerade so zu sehen. Die anderen Männer, Saul und Robert und Willy, sah sie nicht. Josephine ging in die Küche und traf Lizzie dort ganz allein an. Sie pulte Erbsen fürs Abendessen.
„Wo sind die anderen, Lizzie? Wo sind Clara und die Mädchen? Hast du heute keine Hilfe?“
„Nein, Ma’am. Von jetzt
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