Am Anfang war das Ende (German Edition)
selben Abend wurde sein Film in den Nachrichten gezeigt. Im Wetterbericht wurde vor einem Orkan gewarnt, der rasch näher kam. Es wurde verboten, die Häuser zu verlassen. Das tat sowieso fast niemand. Überall war Wasser. In manchen Stadtteilen stand es über einen Meter hoch. Die meisten Läden hatten geschlossen. Die Einkaufszentren sahen aus wie Abenteuerschwimmbäder. Im H&M schwammen schwarze Jeans und hellblaue T-Shirts mit zahllosen anderen kurzlebigen Kleidungsstücken um die Wette. Seit einigen Tagen gab es in den meisten Teilen der Stadt keinen Strom mehr, und inzwischen war auch das Vogelnest davon betroffen. So sah die aktuelle Lage aus. Sie hätte gern besser sein können.
An die letzte Nacht dagegen kann ich mich deutlich erinnern.
Gabriel und Dinah hatten darauf bestanden, dass der Grüne Kreis ein Treffen abhalten müsse. Ich hatte gesagt, ich hätte weder Lust noch Kraft, über ihre hirnrissigen Pläne zu quatschen.
»Was für einen Sinn soll das haben, wenn alles bloß im Regen ersäuft?«, fragte ich.
»Irgendwas müssen wir unternehmen, sonst verliert man ja den Verstand«, sagte Dinah.
»Das hab ich schon«, bemerkte ich.
Aber sogar David stimmte ihr zu. Der Akku in seinem Computer war längst leer.
»Wir könnten eine neue Demo planen«, schlug er vor.
»Ja, warum nicht«, sagte Gabriel. »Ich hab den Ganser gefragt, ob wir die Kamera ausleihen dürfen. Dann können wir nächstes Mal alles dokumentieren, was passiert.«
Also traf sich der Grüne Kreis, so wie Dinah und Gabriel vorgeschlagen hatten, vor allem, weil ausgerechnet an diesem Abend der Regen unerwartet aufhörte und der Wind sich legte. Wir beschlossen, uns draußen auf dem Deck unter der Überdachung zu treffen. Einfach weil es so verlockend war, wieder mal ins Freie zu kommen.
Das Wasser schwappte schon über die Bretter und um unsere Gummistiefel. Es war, als ginge man über einen Bootssteg. Aber wir lachten nur darüber. Wir hatten aus dem Gemeinschaftsraum warme Schaffelle mitgebracht, die breiteten wir jetzt auf den Bänken unter dem Dach aus. Dinah nahm ihr rotes Feuerzeug und zündete damit Teelichter an. Auf einmal machte alles irgendwie Spaß und erfüllte uns mit einer gewissen Hoffnung. Gabriel holte die Videokamera, die er tatsächlich hatte ausleihen dürfen, aus der Kameratasche und begann zu filmen. Dinah steckte sich eine Zigarette an.
»Wir haben es gerade schön gemütlich«, sagte sie in die Kamera. »Wahrscheinlich sind wir die Einzigen, die heute Abend im Freien sind.«
»Garantiert«, sagte ich. »Wir sind die letzten Menschen auf der Erde.«
»Das passt doch gut für den Grünen Kreis«, bemerkte Gabriel hinter der Kamera. »Wir geben nicht so schnell auf.«
»Wir geben
nie
auf«, sagte David und machte das V-Zeichen.
Dinah nickte und blies eine Rauchwolke vor die Kamera.
Ich nickte ebenfalls, von der allgemeinen Zuversicht angesteckt.
Aber nachdem Gabriel die Kamera wieder weggepackt hatte und wir anfingen, Zukunftspläne für unseren geheimen Club zu schmieden, begann es wieder zu regnen, genauso plötzlich, wie es aufgehört hatte. Nur dass es jetzt noch heftiger regnete. Es war, als würde das Wasser aus dem Himmel geschüttet. Die Teelichter erloschen vor Schreck. Der Wind erwachte zum Leben und zerrte und riss an der großen Eiche mitten auf dem Schulhof. Ein Ast fiel herunter und schwamm auf dem Wasser davon. Als Dinah den Arm ausstreckte, um Gabriel die Zigarette zu reichen, wurde sie ihr aus der Hand gerissen.
»Mann, das haut ganz schön rein!«, rief David begeistert aus.
»Was machen wir jetzt?«, fragte ich.
»Hier sitzen wir doch gut«, meinte Gabriel und starrte in den Regen hinaus, hinter der Zigarette her. »Der Wind kommt von der Rückseite der Schule, und wir haben ein Dach überm Kopf. Besser geht’s nicht.«
»Aber das Wasser wird steigen«, wandte ich ein.
»Keine Bange«, sagte David. »Wenn es brenzlig wird, brauchen wir bloß ein Fenster einzuschlagen.«
Ausnahmsweise musste ich zugeben, dass David recht hatte. Die unterste Fensterreihe verlief direkt über dem Holzdeck. So ins Haus zu gelangen konnte nicht besonders schwierig sein.
Also blieben wir unter der Überdachung auf dem Deck sitzen und lauschten dem Wind, der immer stärker wurde, bis er schließlich wie ein heulender Motor klang. Sogar David wurde ein wenig blass. Ich verbarg mein Gesicht in meinem Schal. Ein Orkan ist im Anzug, dachte ich, wir müssen ins Haus.
Doch der irrsinnige Wind und die
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