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Am Anfang war das Ende (German Edition)

Am Anfang war das Ende (German Edition)

Titel: Am Anfang war das Ende (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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könnte sich denselben Weg durch meinen Körper suchen wie zuvor, doch inzwischen wächst der Riss im Grau immer schneller, bis der nebelhafte Dunst mit einem kurzen, dumpfen Knall aufplatzt und in zwei riesige Hälften geteilt wird. Dazwischen erscheint etwas, das wir schon ewig nicht mehr gesehen haben. Ohne Vorwarnung strömt es auf uns herab, und wir stürzen uns Hals über Kopf so weit wie möglich unters Dach, pressen die Augenlider fest zusammen und schreien auf vor Schmerz.
    Licht
, denke ich.
Sonnenlicht!
    Ich höre die anderen wimmern, versuche zu denken, zu hören. Bemühe mich, meine Augen zu ignorieren, die mir wie glühende Kohlen im Gesicht brennen. Ist das Wasser jetzt weniger laut? Ja, ich glaube schon. Das Dröhnen klingt irgendwie sanfter. Und was hat das zu bedeuten? Das weiß ich nicht, genauso wenig wie die anderen. Ich notiere die Dinge nur. Jetzt liege ich hier und habe den Geschmack des ausgekotzten Wortes
Sehnsucht
im Mund und spüre den Schmerz des Wortes
Licht
in den Augen. So liege ich da, mit den anderen, kneife die Augen fest zu und lausche dem Wasser, als Dinahs Stimme mich endlich erreicht.
    » LAND !«, brüllt sie.

III
    In diesem Augenblick geschieht etwas Großes. Das wird mir sofort bewusst, und darum bemühe ich mich, alles festzuhalten, damit ich nichts verpasse. Ich traue mich nicht, die Augen zu öffnen. Der Schmerz ist immer noch unbeschreiblich. Aber ich lausche, registriere jede Veränderung des Dröhnens, das uns umgibt, glaube, diesen neuen Ton im Wasser zu hören und dazu noch etwas anderes. Anfangs verstehe ich nicht, was es ist, doch dann muss ich kurz lachen, denn es sind schon wieder diese weißen Vögel, nur müssen es diesmal sehr viel mehr sein. Als ich sie sehr lange gehört habe, ohne dass sie weitergezogen und verschwunden sind, bin ich mir sicher, dass tatsächlich irgendetwas anders geworden ist. Ich warte darauf, noch mehr von Dinah zu hören, verstehe aber, dass auch sie vorsichtig sein muss. Dann merke ich, dass die anderen sich bewegen, unruhig hin und her rutschen. Was ist das? Was wird jetzt geschehen?
    Schnell greife ich nach Davids Hand. Sie zittert. Ich lehne mich an ihn.
    »Hab keine Angst!«, sage ich. »Bestimmt geht alles gut. Dinah führt uns richtig.«
    David drückt meine Hand.
    »Es tut so weh«, schluchzt er.
    »Das ist das Licht«, sage ich. »Entweder es verschwindet wieder, oder wir gewöhnen uns daran.«
    »Es darf aber nicht verschwinden!«
    »Das wird es tun«, murmelt Gabriel im Hintergrund. »Dies ist nur ein vorübergehender Riss. Ist doch schon öfter passiert, oder, Judit?«
    Ich überlege, obwohl ich die Antwort schon weiß. Dann sage ich: »Kein so großer Riss wie der hier, es war immer nur ein kurzes Aufblitzen.«
    Er holt tief Luft. »Meinst du wirklich? Glaubst du, das hier ist was Neues?«
    »Ja, da bin ich mir fast sicher.«

IV
    Mit geschlossenen Augen taumle ich unter der Überdachung hervor. Das Wasser wirkt inzwischen ruhiger, die Wellen scheinen nicht ganz so hoch zu sein. Man kann sich auf dem Floß kriechend vorwärtsbewegen. Der Wind flaut ab, denke ich. Endlich!
    »Dinah!«, rufe ich und krieche in die Richtung, aus der ihre Stimme gekommen ist. Als das riesige Floß in den Wellen schlingert, verlieren meine Knie den Halt und rutschen über die Bretter.
    »Dinah!«, rufe ich noch einmal.
    Ich lausche, höre aber nur das Tosen des Wassers. Also krieche ich in derselben Richtung weiter, bis das Floß in ein tiefes Wellental stürzt und ich fast über Bord falle. Da höre ich Dinah.
    »Hierher!«, ruft sie. »Sei bloß vorsichtig!«
    Das letzte Stück krieche ich, so schnell ich kann, und schürfe mir dabei immer wieder die Knie auf. Das tut weh, ist mir aber egal. Plötzlich ziehen Dinahs starke Arme mich an sich.
    »Was treibst du denn da?«, sagt sie. »Das ist ja lebensgefährlich!«
    »Stimmt es wirklich, dass du Land gesehen hast?«
    »Wir sind noch ein gutes Stück davon entfernt, aber inzwischen bin ich mir sicher. Ganz in der Nähe muss Land sein.«
    »Schaffen wir es bis dorthin?«
    »Vielleicht.«
    »Und das Licht? Kommt das vom Land?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Und die weißen Vögel?«
    »Ja, die auch.«
    »Oh, Dinah, endlich!«
    Plötzlich wird es wieder dunkel. Das Grau legt sich wie eine nasse Wolldecke über uns.
    »Nein!«, rufe ich.
    »Das geht vorbei. Ruh solange deine Augen aus. Ich geh wieder nach vorn.«
    »Sei vorsichtig, Dinah!«
    Ich höre ihre schnellen Bewegungen, als sie sich auf den Bug

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