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Am Anfang war das Ende (German Edition)

Am Anfang war das Ende (German Edition)

Titel: Am Anfang war das Ende (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Casta
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Menschen, die sich ins Kühle hereingeflüchtet hatten. Die Leute shoppten wie wild. Ab und zu traf uns ein kurzer, skeptischer Blick, mehr passierte nicht. Die meisten trieben mit schlafwandlerischem Gesichtsausdruck an uns vorbei, wie tote Fische eben.
    Ein paar Kinder drängten sich gegen den Strom und versuchten, Anstecknadeln mit Maiblumen für wohltätige Zwecke zu verkaufen, aber kein Mensch schenkte ihnen auch nur einen Blick.
    »Okay«, sagte Dinah. »Fangen wir an! Auf Wiedersehen auf dem Polizeirevier!«
    Wir glitten in den Laden und ließen uns vom Menschenstrom tragen, bis wir in die Mitte des Verkaufsraums kamen. Dort blieben wir stehen, zogen blitzschnell die Reißverschlüsse auf und schlüpften aus unseren Overalls. Gabriel sammelte sie ein und stopfte sie in ein Regal voller hellblauer T-Shirts. Dann stellten wir uns in Positur, als nackte, aber völlig normale Menschen.
    »He, ihr da!«, rief ein Mann mit stahlharter Stimme. »Was fällt euch ein! Das hier ist kein Kindergarten!«
    Wir schwiegen, standen als stumme Zeugen mitten im Laden, zwischen unnötig billigen schwarzen Jeans und hellblauen T-Shirts, die niemand länger als ein paar Tage tragen würde. Wir hätten uns etwas auf die Haut malen sollen, dachte ich. »Not for sale« oder so ähnlich. Ich betrachtete die Menschenmenge, die uns umgab. Inzwischen starrten viele uns an. Einige sahen erschrocken aus, andere lachten und deuteten auf uns. Vielleicht hielten sie es für einen Werbegag von H&M. Am liebsten hätte ich ihnen zugerufen: »Begreift ihr denn nicht? Wir wollen, dass ihr aufhört!«
    Plötzlich kamen die Kinder mit den Maiblumen zu uns her und starrten unsere nackten Körper mit großen Augen an. Einer von ihnen, ein kleiner Junge, hielt mir einen abgegriffenen Pappkarton mit Anstecknadeln hin. Als ich den Kopf schüttelte und flüsterte, das seien aber die vom letzten Jahr, zuckte er nur die Schultern.
    Der Mann mit der stählernen Stimme sprach in sein Handy. Wir sahen die Worte geradezu aus ihm herausknattern. Dann kam er mit großen Schritten zu uns her.
    »Ihr habt drei Sekunden, um zu verschwinden, sonst werden sich die Sicherheitsleute um euch kümmern!«
    Wir blieben regungslos stehen. Schauten vor uns ins Leere, nackt.
    »Na gut«, sagte der Stählerne. »Dann eben auf die harte Tour.«
    Dann sah ich vier uniformierte Wächter mit Lederstiefeln das Kaufhaus betreten. Sie kamen auf uns zu. Nach einem kurzen Befehl des Stählernen wurden wir mit hartem Griff gepackt und wie Schaufensterpuppen aus dem Laden getragen, durchs ganze Einkaufszentrum und in eine Art Bürogebäude hinein. David B. machte das V-Zeichen und grölte einen Hassgesang der Fußballer.
    »Halt die Klappe, du Idiot!«, schrie Dinah.
    Die Kinder mit den Maiblumen blieben stehen und schauten uns nach.
    •
    Von dem, was dann kam, gibt es nicht viel zu erzählen. Nur das Allerschlimmste. Das hast du dir schon gedacht, nicht wahr? Vermutlich denkst du, ich würde gleich anfangen zu dramatisieren. Aber das tue ich nicht! Der Gedanke, dass mir plötzlich alles genommen wurde, kommt mir ja selbst total unwirklich vor. Dass es all die Dinge, die man für selbstverständlich hielt, plötzlich nicht mehr geben sollte. All die vielen Dienstage, die immer so unorganisiert und unbedeutend wirkten, die man jetzt aber als ein Wunder an Präzision erkennt: lauter kleine Geschehnisse und Bagatellen, die wie die Zähne eines unendlichen, aber unsichtbaren Zahnrades ineinandergreifen, eines Zahnrades, das von einfachen Wörtern wie »Hallo« und »Gute Nacht«, von Freistunden, Fischstäbchen und Haushaltsrollen angetrieben wird. All die Dinge, die das Projekt zusammenhalten, das wir als das Leben zu bezeichnen pflegen.
    Ja, Red Bull, denke ich, wenn diese Zeit jemals wieder zurückkommt, werde ich dich zum König des Planeten Erde ernennen.
     
    Dies war inzwischen geschehen:
    Die Aktionsgruppe Der Grüne Kreis war nach einem kurzen Verhör auf dem Polizeirevier zur Basis zurückgekehrt. Die Polizei hatte gesehen, wer wir waren, und begriffen, dass es keinen Sinn hatte, viel Energie auf uns zu verschwenden. Stattdessen riefen sie Gun-Helen an, die uns mit ihrem Auto abholte. Als sie uns sah, schüttelte sie den Kopf. Inzwischen hatten wir die Overalls aus dem Gartencenter wieder an.
    »Was habt ihr jetzt wieder angestellt?«, sagte sie, als wir zum Vogelnest zurückfuhren. Dabei klang ihre Stimme so fröhlich wie schon lange nicht mehr.
    »Wir haben eine Demo gemacht«,

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