Am Anfang war das Ende (German Edition)
unmerklich heller wird?
»Ich glaube, wir schaffen es gerade so«, sage ich.
Jetzt treten die Berge deutlicher hervor. Sie liegen regelmäßig verteilt, wie Kugeln in einem Spiel. Alle sehen ungefähr gleich aus. Gleich karg, knollig und ungastlich.
»So ungefähr stelle ich mir Planeten im Weltraum vor«, sage ich.
»Vielleicht sieht es auf der anderen Seite besser aus«, meint Dinah.
»Das tut es bekanntlich immer«, sage ich und versuche zu lachen.
Genau das ist einer der Gründe, warum ich so gern mit Dinah zusammen bin. Ihr Optimismus ist ansteckend und tut uns allen gut. Hoffentlich kann ich ihr helfen, wenn sie sich wieder elend fühlt.
•
»Mama, guck mal!«
Ich komme durch den Garten angestürmt. Es regnet in Strömen, doch das merke ich nicht. Ich bin mit Hans in der Schwimmschule gewesen. Jetzt halte ich einen Schatz in der geschlossenen Hand und fließe fast über vor Stolz und Glück.
»Mama, guck mal!«
Mama steht am Fenster. Der Regen strömt über die Glasscheibe und verzerrt ihr Bild kaleidoskopartig, wie ein Porträt von Picasso. Ich winke mit meiner geschlossenen rechten Hand. Aber obwohl sie mich anschaut, spüre ich, dass sie durch mich hindurchsieht.
»Mama, ich kann jetzt tauchen!«
Stolz halte ich die blaue Steinkugel hoch, die Hans auf den Grund des Schwimmbeckens gelegt hatte. Nach zahllosen Versuchen ist es mir endlich gelungen, sie heraufzuholen.
»Mama, guck mal!«
Da scheint sie langsam aufzuwachen.
»Mach bitte die Tür zu, es zieht«, murmelt sie, dreht sich um und geht in die Küche.
•
6 . SZENE. INNENAUFNAHME. DIE KÜCHE. TAGESLICHT.
DAVID, (GABRIEL).
David steht am Küchentisch. Neben ihm ist ein großer Hammer zu sehen. Die tote Familie sitzt am Tisch. David greift den Hammer, der an der Kante des Tisches lehnt, dann hebt er den Blick.
DAVID
Bist du fertig?
GABRIEL (nicht im Bild)
Okay.
David bückt sich und kriecht unter den Tisch.
6 . SZENE. FORTSETZUNG. INNENAUFNAHME. DER VORRATSKELLER. SUBJEKTIVE KAMERA.
DAVID, (GABRIEL).
Eine wacklige Handkamera klettert die Treppe in den Vorratskeller hinunter. Ab und zu verdecken Davids lange Haare das Bild. Als David unten angekommen ist, verschwindet er. Das Bild ist jetzt mehr oder weniger schwarz. Ein Streichholz wird angezündet. In dem aufflammenden Licht stellt David einen Kerzenstummel auf ein Holzregal. Dann nimmt er den Hammer in beide Hände.
DAVID
Auf los geht’s los!
David schwingt den Hammer über den Kopf und schlägt ihn dann mit großer Kraft gegen die Eisentür, die ohrenbetäubend dröhnt. Er schlägt immer wieder zu. Das Dröhnen ist fast unerträglich. Plötzlich ist ein metallisches Klicken zu hören. Irgendetwas zerbricht.
GABRIEL (nicht im Bild)
Was ist passiert?
DAVID
Schätze, jetzt lässt sie sich öffnen.
David tritt an die Eisentür und stemmt sich dagegen, worauf die schwere Tür mit einem schwachen Knirschen aufgleitet.
GABRIEL (nicht im Bild)
Mann, ist ja echt der Wahnsinn!
•
Während wir uns den Bergen nähern, löst sich die nächtliche Dunkelheit allmählich auf, und dünne Schleier aus grauem Licht hängen wie zerrissene Vorhänge in der Luft. Die Sicht wird wieder schlechter. Mir strömt der Schweiß übers Gesicht. Hinter mir höre ich Dinah keuchen.
»Jetzt ist es nicht mehr weit«, sage ich.
Ich peile den nächstgelegenen Berg an und schließe die Augen, um sie vor dem anstrengenden Licht zu schonen. Meine Füße trommeln automatisch gegen den harten Boden. Ich bin total erledigt, nur mein Wille treibt mich noch an. Der Lebenswille. Ich will nicht hier sterben und wie ein verdorrter Kadaver in dieser sterilen Wüste liegen bleiben. Ich will noch ein Weilchen leben.
»Wir schaffen es«, keucht Dinah mir ins Ohr. »Wir schaffen es!«
Blinzelnd erkenne ich, dass wir fast am Fuß des Berges angelangt sind. Der Berg ist grau, durchzogen von helleren, fast sandfarbenen Partien. Er scheint vollkommen kahl zu sein, ich sehe keine Büschel aus verdorrtem Unkraut, keine vertrockneten Büsche, keine toten Äste oder altes Laub auf dem Boden. Das brauche ich gar nicht erst zu erwähnen, weil ich weiß, dass Dinah es schon gesehen hat. Stattdessen keuche ich: »Wollen wir nach oben?«
»Klar.«
Der Untergrund wird weicher und nachgiebiger, während wir langsam hinaufklettern. Die Füße sinken leicht ein, federn irgendwie. Nicht sehr, aber mein ganzer Körper registriert den Unterschied. Nach der harten, stummen
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