Am Anfang war das Ende (German Edition)
herrscht.
In jeder Seele tausend Seelen gefangen
in jeder Welt tausend Welten verborgen
und diese blinden, diese unteren Welten
sind wirklich, voll Leben, wenn auch unausgetragen,
so wahr ich wirklich bin.
Gunnar Ekelöf
5 . SZENE. AUSSENAUFNAHME. DÄMMERUNG. VOR DEM HAUS. ÜBER DEM HOF LIEGT EIN SCHMUTZIG BRAUNES LICHT.
JUDIT, DINAH, DAVID, (GABRIEL).
GABRIEL (nicht im Bild)
Okay, also tschüs dann …
DAVID
Was soll der Scheiß, das klappt doch nie!
DINAH
Klar tut’s das!
JUDIT
Hört mit dem Gestreite auf. Komm, wir gehen los, Dinah!
GABRIEL (nicht im Bild)
Seid vorsichtig!
Dinah dreht sich zur Kamera um und zieht das scharfgeschliffene Messer heraus. Sie steckt es quer in den Mund und hält es mit den Zähnen fest.
DINAH (undeutlich)
Keine Bange, Gabriel. Wir packen das.
JUDIT
Passt gut auf Tüchtig und Doris auf!
Judit und Dinah überqueren den Platz vor dem Haus im Laufschritt. Vor der verdorrten Hecke bleiben sie stehen und drehen sich um.
JUDIT (ruft)
Vergesst den Kalender nicht!
Judit streckt eine geballte Faust in die Luft. Dann bahnen sie sich einen Weg durch die Hecke. Die Kamera folgt ihnen, bis sie in dem braunen Dunst verschwinden.
•
Als wir uns an diesem Abend auf den Weg machen, habe ich das Gefühl, das einzig Richtige seit langer Zeit zu tun. Ich bin froh, dass es Dinah ist, die mich begleitet, weil ich gern in ihrer Nähe bleiben will.
Wir laufen barfuß über die Felder, umschlossen von dem braunen Dämmerlicht. Ich weiß eigentlich nicht, warum wir rennen anstatt zu gehen, aber irgendwie fühlt sich das besser an. Als würden wir dadurch eine gewisse Distanz zu dem unangenehmen Licht gewinnen. Und als wäre es sicherer, sich schnell zu bewegen. Erst allmählich rennen wir langsamer, um Kräfte zu sparen. Nach einer Weile wird mein Atem ruhiger, meine Beine bewegen sich wie von selbst. Wir sind wie zwei Tiere, die durch die Dunkelheit jagen, zwei Hirsche, die über die weite Steppe mehr gleiten als laufen. Nein, keine Hirsche, Pferde. Wir sind zwei verwilderte Pferde, die ihre Herde suchen.
Als die Dämmerung in nächtliche Dunkelheit übergeht, können wir die Umrisse der Landschaft ringsum nur noch erahnen. Die Ebene scheint von kleineren Bergen umgeben zu sein. Die haben wir schon ab und zu vom Hof aus gesehen, jetzt haben wir vor, einen von ihnen zu erreichen und uns tagsüber in seinem Schutz aufzuhalten.
Ich schaue über die Schulter, kann aber nur die endlose Ebene erkennen. Den Hof hat die Dunkelheit verschluckt.
»Man kann den Hof nicht mehr sehen«, sage ich keuchend zu Dinah.
Sie schaut nach hinten. »Stimmt«, sagt sie. »Vielleicht, weil er so tief unten liegt.«
Unser Plan ist, unsere Position tagsüber anhand der Sonne zu bestimmen und uns nachts entsprechend voranzubewegen. Vom Hof aus haben wir die Richtung bestimmt, in der die Berge liegen müssen. Und wenn wir sie erreicht haben, sollten wir von dort aus bestimmen können, wo der Hof liegt, auch wenn wir ihn nicht sehen können. Dass der Hof am Meer liegt, müsste dabei hilfreich sein. Als wir das so geplant haben, kam es uns sehr plausibel vor. Aber jetzt, wo wir über die verlassene, dunkle Ebene gleiten, fühlt es sich anders an, so als würden wir uns in einem absoluten Vakuum bewegen. Hier gibt es gar nichts. Keine Laute von Tieren oder Vögeln, keine Gerüche, keinen Wind. Fühlt es sich so an, wenn alles zu Ende geht?, frage ich mich. Landet man in dieser Art Leere, wenn man stirbt?
Der Boden hier ist fester und trockener als beim Hof. Es gibt keine gelben Pfützen mehr, vermutlich ein Anzeichen dafür, dass wir uns bergauf bewegen. Dann geht es auf dem Heimweg wenigstens bergab, denke ich und versuche, die Unruhe zu verjagen, die wie eine kleine Maus in meinem Magen herumflitzt. Ich spähe in die Richtung, in der die Berge liegen müssten, kann aber nichts erkennen.
»Wie weit ist es noch?«, keucht Dinah.
Ich spähe in die Dunkelheit. »Ein paar Stunden«, rate ich.
Dinah bleibt stehen. »Ich muss was trinken«, murmelt sie.
Wir befreien uns gegenseitig von den Wassersäcken, die wir uns auf den Rücken geschnallt haben.
Sie trinkt langsam, lässt den Körper jeden einzelnen Tropfen aufsaugen. Jede von uns hat nur ein paar Liter dabei, daher müssen wir sparsam damit umgehen.
»Allmählich gewöhnt man sich an den Geschmack«, sage ich und verziehe das Gesicht.
Sie nickt, sieht mich prüfend an. »Hoffentlich sind wir
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