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Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Schnurrbart vergnügt zu, der nun neben Mani trat.
    Er trug Polizeiuniform, auf seinem Arm war deutlich das Feldwebelabzeichen zu sehen. »Ilan Mu'alem«, sagte er zu Ochajon und hielt ihm seinen Ausweis hin.
    »Warum trägt er Uniform?« fragte Eli Bachar Mani, der mit unterdrücktem Grinsen antwortete: »Vielleicht hat er gedacht, daß das hier üblich ist.«
    Ilan Mu'alem trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Er ist von der Polizei in Ofakim«, erklärte Mani. »Er ist unsere Unterstützung vom Dezernat Süd.«
    »Was für ein Glück, daß Balilati nicht da ist, er hätte ihn gefressen«, sagte Eli Bachar und nahm den Feldwebel am Arm. »Komm, Kamerad, wir besorgen dir Kaffee und was zu essen.« Damit führte er ihn aus dem Zimmer.
    Michael wandte sich an Mani und erklärte ihm kurz, daß er alle Bestellungen von Kohlenmonoxyd herausfinden solle, die im letzten Monat gemacht worden seien. Alle sollten sorgfältig aufgelistet werden.
    »Mit dem? Mit diesem Mu'alem?« fragte Mani ungläubig.
    »Ich nehme an, daß er telefonieren kann«, sagte Michael kühl und fühlte einen leichten Stich von Mitleid, als er an die demütige Gestalt in Uniform dachte.
    Als alle weg waren, öffnete Michael die schwarze Mappe, die aus dem erkennungsdienstlichen Labor zurückgekommen war, und blätterte in den dünnen, mit Gedichten beschriebenen Papierseiten. Dann zündete er sich eine Zigarette an und las den Bericht des Labors, den Zila auf seinen Tisch gelegt hatte. Da stand, mit welcher Schreibmaschine die Gedichte geschrieben worden waren und auf was für einem Papier. »Reispapier«, las Michael in der ordentlichen Handschrift Pninas von der Spurensicherung. Es gab auch noch Hinweise auf eine Eigentümlichkeit des Buchstabens »L«, auf die Art der Tinte, die verwendet worden war, um die Gedichte zu vokalisieren. Besonders betont wurde, daß man Fingerabdrücke Tiroschs gefunden habe, außerdem noch unidentifizierbare, die durch die unachtsame Behandlung der Leute von der Sonderkommission leider verwischt worden wären.
    »Ein Blatt fiel im aufkommenden Wind / senkte sich / auf meine Bluse / von dort in die Dunkelheit / versank / und schwieg«, las Michael laut und blätterte vorsichtig weiter, auf der Suche nach irgendeinem Detail, das ihm einen Hinweis auf die Identität des Dichters geben könnte. Er wurde immer verwirrter. Das kann doch nicht sein, dachte er, das kann doch nicht sein, daß der Autor nicht gemerkt hat, wie banal diese Gedichte waren.
    Mit einem gewissen Vergnügen betrachtete er die Anmerkungen Tiroschs, dessen Schrift ihm im Laufe der letzten Woche vertraut geworden war. »Metaphorische Verbindung«, hatte Tirosch neben die Zeile »Ich wußte nicht, ob ich die Tür nach deinem Weggehen verschlossen hatte« geschrieben.
    Michael, obwohl er wußte, daß die Literaturtheorie zwischen dem Autor und dem »Sprecher« des Gedichtes unterschied, war überzeugt, daß es sich in diesem Fall um eine Dichterin handeln mußte. Er blätterte weiter und fand andere Anmerkungen Tiroschs, lange Fragezeichen und die Wörter »nein« und »nicht so« am Rand. Auf eine Seite hatte Tirosch mit roter Tinte geschrieben: »So darf man nicht über so etwas schreiben.«
    Michael erinnerte sich daran, was Klein über Tiroschs Begabung als Kritiker gesagt hatte, und mußte zustimmen. Trotzdem entnahm er den Anmerkungen, daß Tirosch die Verfasserin dieser Gedichte kannte.
    Balilati kam herein, laut schnaufend, wie es seine Art war. »Schade, daß Schorr weg ist«, sagte er. »Ich habe etwas Interessantes für ihn. Für ihn und für dich.«
    »Es gibt keine Zufälle in der Welt«, behauptete Michael und schob die Mappe beiseite. »Wenn Tirosch Unterlagen über seine finanziellen Verhältnisse in eine Mappe mit Gedichten legt, dann hat das eine Bedeutung.«
    Balilati zuckte mit den Schultern. »Wie du willst. Ich sage nicht, daß es unmöglich ist, herauszufinden, wer diese Gedichte geschrieben hat, aber trotzdem legt man doch manchmal etwas irgendwohin, wenn zum Beispiel jemand anders plötzlich das Zimmer betritt, und er hat ja auch nicht gewußt, daß er bald ermordet wird. Aber ich finde es für dich heraus, kein Problem.«
    Nur mit großer Mühe gelang es Balilati, Michael bis zum Ende zuzuhören. Er nahm die Mappe in die Hand und schaute Michael an, der mit den Fingern auf den Tisch trommelte. Balilati fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und stopfte sich mit der charakteristischen Bewegung das Hemd in die Hose.

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