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Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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er schob schnell die schwarze Mappe, die ihm Balilati zurückgebracht hatte, in die Schublade.
    »Sie ist da«, sagte Zila und strich sich über die Stirn. »Was für eine Hitze draußen! Sie wartet mit Klein, er hat gefragt, ob er mit ihr hereinkommen darf, und ich habe gesagt, ich würde dich fragen. Was soll ich ihm ausrichten?«
    »Sag ihm, daß ich sie erst allein sprechen will, später werden wir sehen.«
    Michael Ochajon stellte das Aufnahmegerät in dem Moment an, als sie im Türrahmen stand, wieder in einem schwarzen Strickkostüm, allerdings einem anderen als das letzte Mal, das Muster war großmaschiger. Ihre Arme sahen besonders zart aus, und die Perlenkette betonte den weißen Hals. Weiß in Weiß, dachte Michael und empfand Schuld, wenn er daran dachte, was passieren würde.
    Er achtete darauf, ein ausdrucksloses Gesicht zu zeigen, und stellte ihr einen Aschenbecher hin, als sie sich eine Zigarette anzündete.
    »Sie wollten mit mir sprechen«, stellte sie kühl fest.
    »Ja.« Michael seufzte. »Ich wollte, daß Sie mir noch einmal erklären, was Sie an dem Tag getan haben, als Scha'ul Tirosch ermordet wurde.«
    »Das habe ich doch alles schon erzählt«, sagte sie wütend. »Mindestens dreimal.«
    »Ich weiß, und es tut mir auch leid, es gibt aber jedesmal andere Gründe. Wir sind nicht darauf aus, einfach nur so Leute zu quälen.«
    »Nein, nicht einfach nur so«, sagte Ja'el Eisenstein, und ihr Gesicht verzog sich.
    »Ich wüßte gerne, um wieviel Uhr genau Sie an jenem Tag vor weniger als einer Woche zur Universität gekommen sind.«
    Sie wandte den Kopf zur Seite und schaute ihn spöttisch an. Er wich ihrem Blick nicht aus. Er empfand keinen Zorn, nur Mitleid und Erschöpfung.
    »Wie bist du drauf gekommen, ihm diese Frage zu stellen?« hatte Schorr ihn vor Jahren einmal gefragt, als er sich die Aufnahme eines Verhörs anhörte. »Los, erklär mir, wie du auf diese Frage gekommen bist.«
    »Ich fühle den Menschen«, hatte Michael mühsam zu erklären versucht, »ich steige in seine Seele, ich denke wie er, ich höre ihn sprechen, und dann weiß ich es oft. Nicht die Tatsachen, sondern das Prinzip dahinter.«
    »Du machst mich verrückt«, hatte Schorr protestiert, »man sollte sich auf keinen Fall mit einem Menschen ganz identifizieren, man braucht auch Härte und Aggression, wenn man in einem Mordfall ermittelt.«
    »Ich kann nicht anders«, hatte Michael entschuldigend gesagt, »nur wenn ich mich mit dem Menschen identifiziere, weiß ich, welche Richtung ich einschlagen muß. Das tut manchmal sehr weh, wenn man sich so in jemanden hineinversetzt, auch mir selbst, hauptsächlich deshalb, weil ich das im Grunde tue, um sie zu quälen, aber nur so kann ich etwas herausfinden.«
    Michael konzentrierte sich wieder auf Ja'el Eisenstein und wiederholte die Frage, was sie am Freitag getan habe. Sie antwortete ausführlich und erinnerte ihn daran, daß sie pünktlich zur Fakultätssitzung gekommen war, dann in der Bibliothek gewesen war und schließlich nach Hause fuhr. Nach Hause, sagte sie und meinte das Haus ihrer Eltern.
    »Und wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
    Sie senkte den Kopf, wie Juval als Kind, wenn er sich störrisch weigerte zu essen, drehte den Kopf nach links. »Um es ganz einfach auszudrücken«, sagte sie leise, »das geht Sie nichts an.« Mit zitternden Händen zündete sie sich eine Zigarette an. Wieder fielen ihm ihre dünnen Finger mit den Nikotinflecken auf.
    »Wir haben Fingerabdrücke von Ihnen in seinem Zimmer gefunden«, warnte Michael.
    »Was beweist das schon? Daß ich irgendwann mal in seinem Zimmer war.«
    »Und am Freitag waren Sie nicht in seinem Zimmer?«
    Sie blickte ihn an. »Das habe ich bereits gesagt.«
    Michael spielte mit einem abgebrochenen Streichholz und bemühte sich, einen väterlichen Gesichtsausdruck anzunehmen.
    »Ich wünschte«, sagte er, »Sie hätten ein bißchen mehr Vertrauen zu mir.«
    »Und warum? Vielleicht, weil Sie mein Bestes wollen?« fragte sie kühl.
    Er lächelte geduldig und erfahren. »Sie tun mir leid«, sagte er leise und mit der notwendigen Intimität, »all diese schrecklichen Erfahrungen, die Erniedrigungen, die Sie durch Tirosch erleiden mußten.«
    »Was meinen Sie?« fragte sie, und ihre weiße Haut bekam einen rosafarbenen Schimmer.
    »Soll ich Sie wirklich daran erinnern?«
    Sie schwieg.
    »Ich meine die Heirat und die Scheidung, die Abtreibung und...«
    »Woher wissen Sie das?« Jetzt wurde ihr Gesicht rot, und

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