Am Anfang war das Wort
daß ich diese Information nicht benutze, aber ich bin nicht sicher, was passieren wird. Wie die Dinge jetzt liegen, könnte man sagen, daß sie mindestens ein Motiv für den Mord hat, wenn nicht mehr, aber ich habe kein gutes Gefühl dabei, wenn wir nicht vom Gesetz gedeckt sind.«
»Ich kopiere das und gebe es dir dann wieder, oder?« Balilati stand auf und nahm die Mappe in die Hand.
Michael nickte. »Zehn Minuten«, sagte Balilati und blätterte die Mappe auf dem Weg nach draußen durch.
Das weiße Telefon klingelte, noch bevor Balilati die Tür hinter sich zugemacht hatte. Es war Zila, die schwer atmete. »Sie ist nicht bereit zu kommen«, sagte sie verzweifelt. »Sie sagt, man könne sie nur mit Gewalt ›an diesen Ort‹ bringen, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe alles versucht, ich habe ihr erklärt, daß sie dann mit dem Streifenwagen abgeholt wird, was weiß ich noch alles, aber sie will einfach nicht kommen.«
»Wo ist sie?« fragte Michael.
»Hier an der Universität, auf dem Har ha-Zofim, in ihrem Zimmer. Sie arbeitet. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Soll ich einen Streifenwagen bestellen und sie mit Gewalt mitnehmen? Willst du sie verhaften?«
»Nein«, antwortete Michael, »ich will niemanden verhaften. Weißt du, ob Klein da ist?«
»Er ist da, ich habe ihn vor dem Sekretariat getroffen, als ich gekommen bin«, sagte Zila. »Soll ich mit ihm sprechen?«
»Nein, ich rufe ihn selbst an. Warte dort.«
»Universität«, meldete sich eine Frau in der Zentrale mit gleichgültiger Stimme. Michael verlangte das Sekretariat der Fakultät für Literatur.
»Hallo.« Adina Lifkins Stimme klang aufgeregt. Michael sagte, er wollte mit Professor Klein sprechen.
»Wer spricht, bitte?« fragte Adina Lifkin.
Als sie dann laut sagte: »Ach so, von der Polizei«, hörte Michael das Vergnügen in ihrer Stimme. »Er war bis vor einer Minute hier, dann ist er rausgegangen, ich könnte ihn suchen, falls es sehr wichtig ist, ich habe nämlich gerade viel zu tun, und die Frage ist, ob es nicht vielleicht reicht, wenn ich ihm etwas ausrichte.«
»Es reicht nicht«, sagte Michael entschieden.
»Gut, aber Sie müssen sich gedulden«, sagte Adina Lifkin.
Ein paar Minuten vergingen, dann hörte Michael die bekannte, energische Stimme. »Hallo, hier spricht Klein.«
Michael erklärte ihm schnell die Situation und hörte den Mann am anderen Ende schwer atmen, als er mehrmals »Ja« sagte, und dann: »Ich habe verstanden.«
Lange Zeit schaute Michael Ochajon immer wieder auf seine Uhr. Die Zeiger bewegten sich nur langsam vorwärts, und der Aschenbecher war voller Kippen. Er saß mit ausgestreckten Beinen da, beobachtete die Rauchkringel und sah in ihnen das Gesicht Ja'el Eisensteins. Er würde sich lediglich auf die legale Ermittlung beziehen können.
Nach einigen Minuten kam Balilati ins Zimmer, um ihm, wie er versprochen hatte, die Mappe zurückzubringen. Er warf ihm einen Blick zu und verschwand wortlos.
Jeden Moment kann die Tür aufgehen, dachte Michael, und dann wird diese Gestalt dastehen, zart wie ein Alpenveilchen, und er würde sich zwingen müssen, ihre Zerbrechlichkeit und ihre Schönheit zu ignorieren.
Er stellte sich den Mord bildlich vor. Den dunklen Schatten, der wieder und wieder auf das längliche Gesicht einschlug, den Sturz nach hinten. Die Überlegungen des Pathologen zur Größe des Täters ließen zu viele Möglichkeiten offen, auch die vielen anderen ermüdenden Spekulationen.
Totschlag aus Wut, sagte er sich, kein geplanter Mord. Eine solche Tat, dachte er, wird nicht von jemandem begangen, nur weil er eine Erbschaft zu erwarten hat. Er stellte sich die zarte, madonnenhafte Gestalt Ja'el Eisensteins vor, wie sie die Statue des indischen Gottes Schiwa in der Hand hielt, des Gottes der Fruchtbarkeit und der Zerstörung, und das Bild war auf einmal ganz klar. Er konnte den weißenArm sehen, das wutverzerrte Gesicht, die Augen, die vor Erregung aus den Höhlen quollen, und er fühlte, was sie gefühlt haben mußte – vielleicht, warnte er sich selbst.
Er überlegte, ob so ein zerbrechlicher Mensch in eine solche Wut geraten konnte. Eine schreckliche Kraft müßte in ihm auflodern aus Wut über etwas Bestimmtes, und der Mensch würde diese Kraft in sich selbst hassen. Vielleicht, dachte er, vielleicht war es Ja'el.
Aber nicht wegen der Erbschaft. Wegen etwas anderem, von dem ich nichts weiß.
Als die Tür aufging, war ihm klar, daß er hart sein mußte.
Zila trat ein, und
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