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Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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übergeben hat?« fragte Michael plötzlich, nach einem kurzen Schweigen.
    Klein schüttelte den Kopf. »Natürlich bin ich sicher. Außerdem hätte ich das nicht verheimlichen müssen. Ich versichere Ihnen, daß ich keine Ahnung habe, welche Drohung Ido gegen Tirosch in der Hand hatte, ich habe keine Ahnung.«
    »Ich möchte noch einen Punkt klären«, sagte Michael, als handle es sich um ein wissenschaftliches Problem. »Sie hat-ten Angst, daß Tirosch Sie erpressen würde? Daß er diese Information über Ihr Doppelleben verwenden würde?«
    Klein schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein, ich hatte keine Angst. Wenn Sie Tirosch gekannt hätten, würden Sie das verstehen.«
    Michael wartete auf eine Erklärung. Klein sah aus, als suche er nach den richtigen Formulierungen.
    »Sie müssen verstehen«, sagte er langsam, »Scha'ul, wie soll ich es sagen, hat sich unterlegen gefühlt. Und jetzt gab es etwas, was ihn ernsthaft irritierte. Vielleicht wollte er sogar meine Hilfe, auch wenn er das natürlich nie in Worte gefaßt hätte. Er hat sich immer unterlegen gefühlt, trotz seines sicheren Auftretens, seines Hochmuts, und die ... die Information, die er über mich herausgefunden hatte, war vermutlich nicht zum Gebrauch nach außen hin bestimmt, und von Erpressen oder sonst etwas Dramatischem dieser Art kann nicht die Rede sein. Sie diente einem anderen Zweck. Sie sollte mir zeigen, daß er über mich gesiegt hatte, daß auch ich nicht vollkommen war, daß ich einen Flecken auf meiner weißen Weste hatte, eine Schwäche. So fühlte er sich weniger gedemütigt. Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen, ob Sie solche Menschen kennengelernt haben.«
    Der Himmel wurde schon hell, als Michael Klein in den Sitzungsraum führte, nachdem er ihn für das Detektorverhör vorbereitet hatte. Dann saß er in seinem Zimmer und hörte sich die Aufnahme des Gesprächs an. Die Sitzung der Sonderkommission sollte um acht Uhr stattfinden, und Zila tippte das Material ab. Michael hatte seinen toten Punkt überwunden. Er fürchtete sich ein wenig vor der Sitzung und vor den Ratschlägen des Polizeichefs, die zu erwarten waren. Noch immer hatte er keine Ahnung, wer die Wahrheit sagte und wer log, und in dem ganzen Wirrwarr von Nichtwissen wuchs neuer Zorn in ihm. Idiot, der du bist, sagte er zu sich selbst, du mit deinenPhantasievorstellungen über Vollkommenheit und Integrität, plötzlich bist du so moralisch.
    Er vergrub das Gesicht in den Händen. Was soll das? fuhr die Stimme in seinem Inneren fort und protestierte: Weil ein Mann zwei Leben führt, soll er plötzlich keine Integrität haben? Was ist aus dir geworden, der König der Bürgerlichen? Und was ist mit Maja? Irgend etwas war mit ihm und Klein, er wußte nur nicht genau, was es war. Doch er hatte das starke Gefühl, daß es nichts mit dem Mord zu tun hatte, und nichts mit der Lüge. Ein ganz privater Zorn auf Klein, daß sogar er kein vollkommenes Leben führte, daß sogar er in etwas steckte, was man nicht ganz sauber nennen mußte. Warum kann niemand ein einfaches, richtiges Leben führen, wie es sein sollte? fragte er sich. Warum nicht ein einziger Mensch? In diesem Moment trat Zila ins Zimmer, in der Hand ein Tablett mit Kaffee und einem frischen Brötchen, und unter den Arm hatte sie eine Mappe geklemmt, eine grüne Mappe.
     
     
     

Siebzehntes Kapitel
     
     
    »Dann behaupten Sie eben, daß es Fingerabdrücke gibt, dieses Spiel haben wir doch schon öfter gespielt. Passen Sie auf, was sie sagen, wie sie reagieren. Muß ich Ihnen etwa beibringen, wie man jemanden festnimmt?« sagte Arie Levi ungeduldig. »Und diesen Klein lassen wir nicht laufen, auf keinen Fall vor dem Detektorverhör. Jeden Tag gibt es eine neue Spur, zum Verrücktwerden.« Der Polizeichef trank einen Schluck Kaffee, und alle warteten schweigend. Michael war noch immer angespannt wegen der Reaktionen auf die Affäre Klein, die er eigentlich erwartet hatte, aber erstaunlicherweise hatte niemand eine dumme Bemerkung gemacht. Allerdings, dachte Michael, weiß auch niemand etwas von dem gemeinsamen Mittagessen, von meinem Wunsch nach Brüderlichkeit und Nähe. Eigentlich, fiel ihm plötzlich ein, kann das auch niemand verstehen. Die Tatsache, daß er einige Nächte hintereinander nicht geschlafen hatte, machte ihn besonders verletzlich. Alles kam während der Sitzung verschwommen an die Oberfläche, auch sein Schmerz wegen Maja. »Ich möchte heute noch eine zusätzliche Sitzung vereinbaren, bevor Sie

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