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Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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gelesen hatte, dachte ich, es handle sich nur um Neid oder um ein Gefühl des Sieges über meine Bürgerlichkeit, wie er es nannte, über meine Lebensweise. Aber nach dem Treffen, oder schon während des Treffens, spürte ich, daß es noch etwas gab.«
    »Erzählen Sie es mir, von Anfang an«, sagte Michael, einen Satz, den er in dieser Nacht schon einmal gesagt hatte. Er erinnerte sich nicht, wann und zu wem. »Was hat er gesagt, als Sie sich getroffen haben?«
    Plötzlich sah Klein sehr müde aus. In seinem vollen Gesicht sah Michael Falten, die er zuvor nicht bemerkt hatte. Seine Haut sah gelblich aus. Vielleicht liegt das auch am Neonlicht, dachte Michael. Er erinnerte sich an Kleins selbstsichere, ruhige Stimme, als er vor ein paar Stunden mit seiner Frau telefoniert hatte.
    »Jetzt sehe ich ganz klar, wie er alles um sich herum zerstört hat«, sagte Klein. »Alles, immer hat er das geschafft. Ich habe keine Ahnung, was er wollte. Er sprach indirekt, als wisse er alles, er war ein Fachmann der indirekten Rede. Er wollte wissen, worüber Ido mit mir gesprochen habe, als er mich besuchte. Ich sagte, Ido befinde sich in einer Krise, es sei ihm irgend etwas passiert, aber ich wisse nicht, um was es sich handle. Er ist viele Male darauf zurückgekommen. Dann fragte er mich, ob Ido mir etwas Schriftliches hinterlassen habe. Ich fragte: ›Was soll das heißen, hinterlassen? Warum gehst du nicht selbst zu Ido und fragst ihn?‹ Er sagte, irgend etwas ›zur Aufbewahrung‹, ob Ido mir etwas zur Aufbewahrung gegeben habe, und dann fragte er mich, ob ich die Kassette gesehen hätte ...«
    Michael unterbrach ihn. »Das heißt, Sie haben gewußt, um welche Kassette es ging, als ich Sie heute danach gefragt habe?«
    Klein blickte ihn schuldbewußt an und senkte die Augen. »Nun, ich habe es nicht genau gewußt, aber ich habe es auch nicht ›nicht gewußt‹. Heute nachmittag bin ich einfach erschrocken. Sie müssen verstehen, daß ich während des Gesprächs mit Tirosch sehr angespannt war ...« Er schwieg.
    »Sie waren angespannt«, wiederholte Michael die Worte in einem so neutralen Ton, wie er ihn mit seiner trockenen Kehle zustande brachte.
    »Ich hatte Angst, daß alles auffliegt. Ich war angespannt, weil ich an all die Schwierigkeiten dachte, die auf uns alle zukommen würden. Jedenfalls, er hatte die Sache mit Mali herausgefunden, und dann – ich erinnere mich an seine Worte ganz genau – sagte er: ›Wenn du still bist, bin ich auch still. Ich fragte ihn, was er damit meine, ich habe es gefragt, obwohl ich so erschrocken war, und er hat gesagt: ›Wenn es soweit ist, wirst du es wissen, das verspreche ich dir, und wenn Ido mit dir spricht, dann sage es mir.‹ «
    »Das heißt«, sagte Michael Ochajon, »Sie waren nicht gerade von Trauer überwältigt, angesichts Tiroschs Tod.«
    »Wissen Sie«, sagte Klein zögernd, »ich nehme mal an, daß Sie mir nicht glauben, aber es war nicht so, daß ich wirklich Angst gehabt hätte, ich hatte ein im Grunde unverständliches Gefühl der Sicherheit: Wenn er je über diese Sache sprechen würde, so würde ich es durchstehen.« Er schaute Michael an, aber der sagte kein Wort.
    Klein räusperte sich wieder und sagte mit deutlicher Verlegenheit: »Vielleicht habe ich mir das sogar gewünscht, was weiß ich. Der Mensch ist so kompliziert ...«
    »Und Sie bleiben dabei, daß Sie ihn nicht umgebracht haben?« fragte Michael plötzlich hart. Klein blickte ihn an und verschränkte die Arme. Er schüttelte ein paarmal den Kopf und sagte ernst, als wäge er jedes Wort sorgfältig ab: »Nein, natürlich nicht. Ich habe ihn nur am Donnerstag gesehen, und am Freitag lebte er noch. Und außerdem glaube ich nicht, daß Sie ernsthaft annehmen, ich hätte einen Grund dafür gehabt.«
    »Haben Sie nicht vorhin selbst gesagt, daß er alles zerstört hat?« fragte Michael mit unterdrücktem Zorn. »Und wenn Sie behaupten, Sie hätten ihn danach nicht mehr gesehen, so müssen wir nachprüfen, um wieviel Uhr Sie am Freitag nachmittag in Rosch-Pina angekommen sind.«
    »Aber ich habe Ihnen doch gesagt ...« protestierte Klein, dann schwieg er. »Gut, ich kann wirklich nicht erwarten, daß Sie mir glauben. Aber Sie können sich darauf verlassen, daß ich es nicht geschafft hätte, mich auf dem Har ha-Zofim zu verstecken, und es gibt keine Möglichkeit, ungesehen auf den Campus zu kommen. Ich habe die Universität vor Sonntag nicht betreten.«
    »Sind Sie sicher, daß Ido Ihnen keine Kassette

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