Am Anfang war das Wort
mußte weg, sogar schiwa* {} habe man sie nicht sitzen lassen, wie es sich gehörte, protestierte sie laut mit dieser kultivierten Stimme, die er nun schon so gut kannte.
Michael betrachtete das volle Gesicht, das blaue Trikotkleid, das runde Schultern freiließ, die Brille mit den runden Gläsern, hinter denen man ihre braunen, traurigen Augen sah, und er dachte an den Sabbat, an dem er mit Usi Rimon in ihre Wohnung gekommen war. Der Ausdruck ihres Gesichts hatte sich kaum verändert in den vergangenen Tagen, seit sie die Nachricht vom Tod ihres Mannes erhalten hatte. Ihre Haut glänzte stark. Obwohl ihre Augen traurig aussahen, zeigte sie keine Zeichen von Mangel, an Schlaf. »Ich weiß, was du sagen wirst, daß nicht alle auf die gleiche Weise reagieren, es gäbe welche, die erst nach langer Zeit zusammenklappen«, hatte Balilati zweifelnd gesagt, »aber diese Frau da – die ist ein besonders harter Brocken.« Bei der Sitzung der Sonderkommission hatte einer der mit der Überwachung beauftragten Beamten gesagt: »Die ganze Zeit ist eine Frau bei ihr, mit ihrem Kind, ich glaube, sie ist dort eingezogen, eine Freundin von ihr, noch von der Armee. Auch ihre Eltern sind in Israel eingetroffen, es sind die ganze Zeit Leute dort. Sie ist keine Sekunde allein.«
Ruth Duda'i betrachtete die Kassette, ohne sie zu berühren. Sie wisse nicht, sagte sie, ob diese Kassette aussah wie die anderen. Ido habe sie immer bei sich aufgehoben und gut auf sie aufgepaßt. Sie könne sie nicht angefaßt haben. Sie habe keine Ahnung, wie ihre Fingerabdrücke daraufgekommen sein könnten.
Nein, sie kenne die Stimme nicht, die diese Zeile aus einem von Tiroschs Gedichten zitierte. »Ich habe Ihnen schon tausendmal gesagt«, sagte sie müde, »daß Ido mir nichts über das erzählt hat, was in Amerika passiert ist. Er ist völlig durchgedreht zurückgekommen.«
Sie wisse nicht, wann genau Ido nach dem Fakultätsseminar nach Hause gekommen sei. Spät. Sie sei aufgewacht, als er das Licht im Schlafzimmer angeknipst habe.
»Ich habe nichts gefragt, kein Wort. Er hat jede Frage immer so unwillig beantwortet, so nervös, und ich habe mich ohnehin schuldig gefühlt.« Nun brach sie in Weinen aus. »Ich habe mich so gefreut, daß er zum Tauchen gefahren ist, daß er sich ein bißchen ausruht. Ich habe gedacht, er würde sich beruhigen, daß er hinterher wieder ausgeglichener sein würde, und außerdem«, sie zog die Nase hoch und nahm die Brille ab, »war da noch die Sache mit Scha'ul.«
Michael wußte, warum sie verlegen schwieg. Eine Frau in ihrer Situation, dachte er, kann nicht erzählen, wie sie sich selbst mit Vergnügen einen freien Abend verschaffte, um etwas zu erleben. »Ich habe mir gewünscht, daß Ido nicht zu Hause ist«, fuhr sie fort, »denn er war einfach nicht mehr auszuhalten. Und jetzt fühle ich mich so schuldig.«
Sie verschränkte die Arme auf den Tisch, legte den Kopf darauf und weinte. Michael betrachtete ihre Arme, ihren Hals, ihre Locken, die mit einem dicken Gummi in einem hoch angesetzten Pferdeschwanz zusammengehalten wurden, ihre Haut, die glänzte wie die eines Babys, und dachte, daß sie in ein paar Jahren bestimmt einen Tröster gefunden hätte, daß sie nicht lange allein bleiben würde. Er schaffte es nicht, auch nur ein bißchen Mitleid für sie zu empfinden.
»Und die Sache mit den Preßluftflaschen«, sagte er langsam, »er war nicht noch einmal im Keller, Tirosch, meine ich?«
»Ich habe es doch schon gesagt, wie oft fragen Sie mich das noch? Woher soll ich das wissen, der Keller ist unten. Mir hat er nichts gesagt. Und überhaupt, was wollen Sie damit sagen? Daß er sie mit Gas gefüllt hat? Glauben Sie etwa, er hat mich so geliebt, daß er bereit war, meinen Mann umzubringen? Das ist doch absurd!« Sie wischte sich die Augen. »Und außerdem«, sagte sie, »ist er doch vor Ido gestorben, wie hätte er dann überhaupt ...« Und plötzlich war sie still. Dann sagte sie zögernd: »Was wollen Sie damit sagen? Daß er vorher in den Keller gegangen ist und die Preßluftflaschen mit Gas gefüllt hat? Warum hätte er das tun sollen? Der Keller war offen, das stimmt, aber ich weiß nicht, die Nachbarn ... Und wirklich, warum? Erklären Sie mir das.«
Michael wollte ihr antworten, daß die Nachbarn befragt worden seien und niemand etwas gesehen habe, doch dann hörte er das Klingeln des schwarzen Haustelefons, des internen.
»Wir haben die Liste. Bevor du Schaj zu dir reinholst, möchte ich dir etwas
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