Am Anfang war das Wort
stellte keine Fragen mehr.
Noch immer erinnerte er sich mit schmerzhafter Klarheit an den Tag, als Usi, natürlich rein zufällig, herausfand, daß seine Mutter, die damals jünger war als er heute, noch nicht einmal vierzig, die Antwort auf Michaels Gebete war, daß irgendwann einmal eine ältere, erfahrene Frau komme und ihn »von seiner Unschuld befreie«, wie es in den Heftchen formuliert wurde, die er damals heimlich las.
Sogar bei der Begegnung mit Noa, fünfzehn Jahre nach dem Ereignis, das er für sich immer »Teppichszene« nannte, konnte Michael nicht lachen, als er Usis Gesicht wieder vor sich sah, wie er wie gelähmt im Türrahmen gestanden und sie angestarrt hatte, seinen besten Freund und seine Mutter, da auf dem dicken Teppich, angestarrt von oben bis unten. Dann hatte er, ohne ein Wort zu sagen, die Tür hinter sich zugeworfen.
Er habe ja nicht wissen können, hatte Michael sich immer wieder gesagt, daß Usi, der nach Achsiv gefahren war, um sich von der Paukerei für das Abitur zu erholen, noch am selben Tag zurückkommen würde. Und obwohl er sich mit dem Gedanken tröstete, daß Usi nicht wußte, daß die Beziehung damals schon anderthalb Jahre dauerte, konnte Michael ihm danach nicht mehr in die Augen sehen.
Erst nachdem er sich mit Noa getroffen hatte, die sich bei ihm über Usis Verschlossenheit beklagt hatte, darüber, daß es unmöglich sei, mit ihm eine offene, warme Beziehung zu haben, daß er sich in seiner eigenen Unterwasserwelt verbarrikadiert habe, völlig abgeschnitten von anderen Menschen – erst da hielt Michael es für denkbar, daß er und Usi einander irgendwann in Zukunft einmal wiedersehen könnten.
Er hörte die Freude und die Überraschung in Usis Stimme, als er mit zitternden Fingern vor einer Woche die Nummer des Tauchclubs wählte, fünf Jahre nach dem Gespräch mit Noa. Den ersten Abend brachten sie sich unter viel Gelächter gegenseitig auf den neuesten Stand. Die Eltern wurden kaum erwähnt. Daß Usis Vater einen langsamen und qualvollen Krebstod gestorben war, hatte Michael schon vor zehn Jahren gehört. Von einer ehemaligen Klassenkameradin hatte er auch erfahren, wie hingebungsvoll die Mutter ihn während der schweren Krankheit gepflegt hatte, auch daß sie zum zweiten Mal geheiratet hatte und nach Paris gezogen war.
Usi selbst erwähnte seine Mutter nicht, nur – in einem Nebensatz – den Tod seines Vaters. Und Michael, der danach lechzte, die Angelegenheit zu besprechen, und sich fast wörtlich vorgestellt hatte, wie sie über alles reden würden, es erklären und jede Unstimmigkeit zwischen ihnen bereinigen würden, empfand eine tiefe Enttäuschung. Usi vermied heikle Themen, und Michaels Versuche, mit ihm zu reden, wehrte er belustigt und manchmal sogar albern ab. Noch nicht einmal die Flasche Wein, die sie zu dem von Usi selbst gekochten ausgezeichneten Essen tranken, half.
Zum ersten Mal nahm Michael die Ähnlichkeit zwischen Usi und seiner Mutter wahr, den Schnitt der Lippen, die schrägen Augen, und erwartete fast, ihren wunderbaren Duft zu riechen, den er seither vergeblich an jeder Frau gesucht hatte. Nur Majas Körper verströmte einen ähnlichen Duft. Usi aber roch nach Meer.
Michael konnte das Gefühl der Erleichterung nicht leugnen, das er nach der Anspannung der Begegnung und der ersten Freude empfand, als er feststellte, daß Usi ein bißchen dick geworden war und sogar schon anfing, eine Glatze zu bekommen. Das hatte etwas Tröstliches. Noch nicht einmal an diesem ewig jungen Mann war die Zeit spurlos vorübergegangen, trotz seines sportlichen Lebensstils, trotz seiner Sonnenbräune, trotz der fast immer lachenden Augen.
Jetzt, am Strand, stand Panik in Usis Augen.
»Was ist eigentlich passiert?« fragte Michael noch einmal, und Usi sagte, das sei eben das Problem, daß er nicht wisse, was passiert sei. Bei diesen Worten deutete er auf die Ausrüstung des jungen Mannes, die im Sand zurückgeblieben war. »Sie haben auch die Preßluftflaschen mitgenommen«, sagte er. »Vielleicht sind sie undicht. Ich habe ihn vor dem Tauchen gefragt, und er hat gesagt, er habe die Ausrüstung vor zwei Monaten gründlich geprüft. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber er war nicht allein, er war mit einem Lehrer zusammen. Wir müssen die Untersuchung abwarten. Solche Sachen machen einen fertig. Jetzt warte ich nur darauf, daß alle aus dem Wasser kommen. Hier, da ist dein Junge schon.«
Michael blieb stehen und sah zu seinem Sohn hinüber, der sich ein
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