Am Anfang war das Wort
energische junge Frau namens Rina. Sie nahm Ruth, die ganz starr wurde, dramatisch in den Arm, klopfte ihr auf die Schulter und verkündete: »Ich stelle Wasser auf.«
Usi und Michael verließen die Wohnung. Michael winkte ungeduldig ab, als er Usis Dankesworte hörte. Es kam ihm nicht in den Sinn, daß diese Angelegenheit damit noch nicht zu Ende sein würde.
Drittes Kapitel
Das Telefon neben Ruchamas Ohr klingelte schrill. Hastig nahm sie, fast noch schlafend, den Hörer ab. Dann bemerkte sie, daß Tuwja nicht in seinem Bett lag. Sie nahm an, daß er auf dem Sofa in seinem Arbeitszimmer eingeschlafen war, was regelmäßig geschah. Am anderen Ende der Leitung hörte sie eine hysterische, zitternde Stimme. Ruchama sah, daß es noch nicht einmal halb acht Uhr morgens war. »Hallo«, sagte Adina Lifkin noch einmal, diesmal mit festerer Stimme, und Ruchama antwortete müde: »Ja?«
»Frau Schaj?« fragte Adina, und sofort sah Ruchama das Haar der Fachbereichssekretärin vor sich, das in feste Wellen gelegt war, und die dicken Hände, die in einem Naturjoghurt- und Gurkengemisch rührten.
»Ja«, sagte Ruchama. Sie achtete im Umgang mit Adina streng darauf, auf einer offiziellen Ebene zu bleiben, sie redeten nie über Rezepte, ihre Gesundheit oder persönliche Erfahrungen, und deshalb wagte Adina auch nicht, sie beim Vornamen zu nennen.
»Hier ist Adina Lifkin, die Sekretärin der Fakultät«, sagte Adina, wie sie es während der letzten zehn Jahre fast jeden Morgen zu Ruchama gesagt hatte. Ruchama hatte nichts unternommen, um das vertraute Muster zu durchbrechen.
»Ja«, sagte sie sachlich und hoffte, daß der Ton ihrer Stimme keine Möglichkeit zur Eröffnung eines Gesprächs bot.
»Eigentlich wollte ich gern mit Dr. Schaj sprechen«, sagte Adina mit einer gewissen Verzweiflung in der Stimme und begann zu erklären, daß es ihr angenehmer sei, um diese Zeit zu telefonieren, da an diesem Tag sehr viel Arbeit auf sie wartete. »Und später sind alle Leitungen besetzt, wissen Sie.« Ruchama sagte kein Wort.
»Vielleicht können Sie mir ja auch helfen?« fragte Adina und wartete die Antwort nicht ab. »Eigentlich suche ich Professor Tirosch. Seit gestern versuche ich, ihn zu erreichen. Und weil die Angelegenheit dringend ist, habe ich mir gedacht, daß Sie mir vielleicht helfen könnten. Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?«
»Nein«, sagte Ruchama. Sie wurde langsam wach, und gleichzeitig spürte sie, wie das bedrückende Unbehagen der letzten Tage wieder von ihr Besitz ergriff. Die »dringenden Angelegenheiten« Adina Lifkins waren schon immer Dinge gewesen, die wochenlang warten konnten, das wußte Ruchama.
»Gut. Jedenfalls vielen Dank. Entschuldigen Sie die Störung, ich habe nur gedacht, daß Dr. Schaj vielleicht wüßte, wo ich ihn finden kann. Falls Dr. Schaj heute ins Institut kommt, und ich glaube, das muß er, könnten Sie ihn dann bitten, daß er mich vorher anruft?«
»Ja«, sagte Ruchama und legte auf.
Adina konnte nicht wissen, daß seit jenem Seminar, seit Mittwoch abend, Ruchamas Welt zusammengebrochen war. Sogar Scha'ul Tirosch, der ihre Beziehung am Donnerstag nach dem Seminar ohne Vorwarnung abgebrochen hatte, konnte das nicht wissen. Er hatte sie an diesem Tag fast nicht beachtet, ein fremdes Feuer brannte in seinen Augen, als er seine gut manikürten Nägel geprüft und sie dann angeschaut hatte, den Kopf zur Seite geneigt, und mit einem beiläufigen Ton, der im Gegensatz zu dem Feuer in seinen Augen stand, gesagt hatte, daß die Beziehung zwischen ihnen doch schon ihren Reiz verloren habe und zur Routine geworden sei, einer Routine, die er sein Leben lang zu vermeiden getrachtet habe. »So ist es nun mal«, hatte er schließlich gesagt. »Wie der Dichter sagt: Am Anfang ist es ›Ich liebe dich mehr, als ich zu sagen vermag‹, und am Ende ›Dann kamen wir in die Stadt, und Havazelet drückte mich zu Boden‹, wenn du verstehst, was ich meine.«
Ruchama verstand es nicht, aber sie dachte an Ruth Duda'i. Sie kannte das Gedicht nicht, das Scha'ul zitiert hatte, wußte nicht, wie es weiterging. Ihr Unverständnis stand ihr offenbar ins Gesicht geschrieben, und als Antwort deutete Tirosch auf das Buch Avidans, das auf seinem Tisch lag. Er verwies sie auf das Gedicht Persönliche Probleme und riet ihr, »ganz allgemein, sich der Poesie als Lebenshilfe zu bedienen«.
Viele Male hatte sich Ruchama ihre Trennung vorgestellt. Doch nie hätte sie geglaubt, daß es so weh
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