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Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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fortfahren. Schließlich nahm Ruchama den Hörer auf, der noch immer feucht und klebrig war von Tuwjas ewig schwitzenden Händen.
    »Wie geht es dir, Ruchama? « fragte Zipora mit mütterlicher Besorgnis.
    »Besser«, sagte Ruchama und zog an ihrem T-Shirt. Sie kniete sich hin und wischte mit der anderen Hand ein weiteres Staubknäuel zusammen. Vor ihrem inneren Auge sah sie das schwarze Telefon, das Büro der Krankenaufnahme im Scha'arei Zedek, die Hand Ziporas, die beim Sprechen über die Resopalplatte strich.
    »Hast du noch Fieber?« fragte Zipora, und Ruchama sah den schweren Körper, die geschwollenen Füße, die Knöchel, die unter der Last des Körpers bläulich angelaufen waren. (»Krampfadern an den Beinen, von der ersten Schwangerschaft, das ist es, was mir von ihnen geblieben ist«, hatte Zipora damals gesagt, als ihr Sohn seine Freundin mit nach Hause brachte und verkündete, daß er die Absicht habe zu heiraten. »Warum hat er es so eilig? Was hat er davon? Was habe ich davon?«) Und Ruchama antwortete, nein, sie habe kein Fieber mehr.
    »Nimmst du etwas? Aspirin, hörst du, Aspirin und heißen Tee mit Zitrone und viel Hühnersuppe«, sagte Zipora. Ruchama schwieg. Sie würde heute nicht zur Arbeit gehen, überlegte sie. Sie wollte nur ins Bett.
    »Gut, ich will dich nicht länger stören, leg dich wieder hin, das ist am besten. Nicht zu früh aufstehen, du kannst dir nicht vorstellen, zu was für Komplikationen das führen kann. Was wir hier alles in den letzten Tagen gesehen haben. Erst heute ist ein junges Mädchen gekommen, fast noch ein Kind, eine Soldatin, ich weiß nicht, was sie sich bei der Armee denken.«
    Ruchama begann, in dem Buch von Anatoli Ferber zu blättern, »einem der hervorragendsten Gegner des Regimes in der Sowjetunion nach Stalin«, wie Scha'ul Tirosch in seiner Einleitung geschrieben hatte. »Geboren 1930 in Israel, damals Palästina, zog er mit seiner Mutter nach Moskau, als er drei Jahre alt war, und starb 1955 unter ungeklärten Umständen in einem Arbeitslager in Perm in Mordavia, im Ural.« Und plötzlich hörte sie die Stimme Scha'uls durch den Hörer, über Ziporas Stimme hinweg, als ob er ihr die Einleitung vorlas.
    Panik erfaßte sie. Wunderbarerweise gelang es ihr gerade noch, Ziporas Redefluß zu unterbrechen und mit schwacher Stimme zu sagen: »Ich bin jetzt müde, reden wir morgen bei der Arbeit weiter, Zipora, auf Wiedersehen.« Vorsichtig legte sie den Hörer auf, ließ das Staubknäuel fallen, legte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Schließlich schloß sie die Augen, und als sie wieder aufwachte, war es drei Uhr nachmittags.
    Im Haus war es ruhig, die Fenster waren geschlossen, sie hatte den Geruch von Staub in der Nase. Tuwja war nirgends zu entdecken. Nicht in der Küche, nicht im Bad, nicht im Schlafzimmer und nicht in dem kleinen Wohnzimmer, das sie mit Möbeln aus dem Kibbuz eingerichtet hatten, die ihr, bevor sie Tirosch kennengelernt hatte, immer gut genug vorgekommen waren. Plötzlich fiel ihr ein, daß Ido Duda'i umgekommen war, so hatte Tuwja es ausgedrückt, bevor er das Haus verlassen hatte. Der Satz »Ido Duda'i ist umgekommen« klang wie ein Echo in ihrem Bewußtsein nach, brachte jedoch den Eisblock in ihrem Inneren nicht zum Schmelzen. Dann erinnerte sie sich an die Worte »bei einem Taucherunglück« und griff sich an den Hals, als sie vor sich das blaue, tiefe Wasser sah und an Atemnot dachte. Während der ganzen Zeit stand sie in der Küche und hielt das Brotmesser in der Hand, doch sie hatte keine Kraft, sich von dem harten, alten Laib eine Scheibe abzuschneiden. Tuwja hatte kein Brot gekauft.
    Sie schaute auf die große Uhr an der Wand, ein Geschenk von Tuwjas Eltern. Es war zehn vor vier, und sie überlegte, daß Tuwja vielleicht nicht zurückkommen würde, nach Scha'uls Beichte. Dieser Gedanke machte ihr schon keine Angst mehr. Wieder griff sie sich an den Hals. Etwas anderes, nicht Tuwjas Abwesenheit, machte ihr angst. Sie wußte nicht, was es war, fühlte nur, wie schwer ihr Atem ging, und setzte sich auf den resopalbeschichteten Stuhl. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen, ließ es auf den Küchentisch sinken, dessen Resopalplatte mit Staub bedeckt war, und kämpfte gegen die Vorstellung von Scha'uls Gesicht: das spöttische Lächeln, das sich immer mehr verzerrte, bis der Mund zu einem Schrei aufgerissen war. Und dann schob sich das tote Gesicht Ido Duda'is über das Bild.
     
     
     

Viertes Kapitel
     
     
    Im Laufe

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