Am Anfang war das Wort
vollkommene Dunkelheit der Straße.
Michael verliebte sich damals in Maja, ohne daß er auch nur die geringste Ahnung davon hatte, obwohl er es eigentlich hätte wissen müssen. In dem Moment, als er die Autotür zumachte, füllte sich der Wagen mit jenem Duft, einer Mischung aus Honig und Zitrone, den er schon seit Jahren suchte, seit er achtzehn war – schon in diesem Moment hätte er wissen müssen, daß es für ihn kein Zurück gab. Sie trug einen weiten, blauen Rock, dazu eine weiße Bluse mit weiten Ärmeln, und sie hatte ein breites Gesicht voller Sommersprossen. Ihre glatten, braunen Haare fielen auf ihre Schultern, und ihre Stimme war ein wenig heiser. Sie erzählte ihm, zwischen Sche'ar Hagai und Castel, von ihrer Arbeit als Lektorin in einem Literaturverlag, von dem Konzert, von dem sie gerade zurückkam, vom Klang der Geige von Schlomo Mintz (»so jung und so dämonisch, manchmal ein richtiger Teufel«). Er lächelte während der ganzen Fahrt vor sich hin, und schon bei Abu-Gosch spürte er, daß er unbedingt herausfinden mußte, ob der Geruch von ihrem Haar stammte oder von Parfüm oder direkt von ihrer Haut. Neben der Blindenschule in Kiriat-Mosche, vor einer blinkenden Ampel, beugte er sich zu ihr hinüber und roch an ihren Haaren. Dann hielt er das Auto in Kiriat-Mosche an. Sie hörte auf zu plaudern, und ihr Gesicht wurde sehr ernst, doch in ihren Augen – im Licht der Straßenlaterne sah er, daß sie braun waren – funkelten noch immer goldene Sprenkel. Als er die Augen beim Küssen öffnete, sah er, daß auch sie die Augen nicht geschlossen hatte. Er wollte sie fragen, ob sie Parfüm benutze, traute sich aber nicht, und dann brachte er sie nach Hause. Später erinnerte sie sich immer mit einem Lächeln daran, wie er sie gefragt hatte, ob er ihre Haare berühren dürfe, und dann, ob er sie küssen dürfe. »Ich hatte angenommen, daß man nur im Kino solche Fragen stellt, und daß alle Menschen spontan wären«, hatte sie schon gleich in jener Nacht gesagt, und später wurde sein Mangel an Spontaneität zu einem ständigen Stein des Anstoßes zwischen ihnen. »Warum mußt du mich fragen? Wenn du nach sieben Jahren noch nicht weißt, ob du kannst oder nicht, was tun wir dann zusammen? Fragt man seine Frau, ob man sie küssen darf? Das ist keine Höflichkeit, das ist eine Beleidigung. Diese Frage bedeutet, daß es keine Intimität zwischen uns gibt.«
Damals war er nach Hause gefahren, froh wie noch nie. Er wußte ihren Namen nicht, und selbstverständlich war nicht darüber gesprochen worden, daß sie sich wiedersehen würden, aber Michael wußte, daß es keine zufälligen, bedeutungslosen Ereignisse auf der Welt gab, und deshalb war er überzeugt davon, daß er sie nun, da er sie einmal getroffen hatte, wieder treffen würde. Doch er hatte nicht damit gerechnet, daß es so schnell passieren würde. Drei Wochen nach der Fahrt von Sche'ar Hagai mußte er eine Einladung zu einem Hauskonzert annehmen, das Tali Schatz gab, die Tochter seines früheren Mentors für seine Abschlußarbeit an der Universität. Es war schon nicht mehr Herbst. Der Regen prasselte an die Fensterscheiben des großen Salons in dem neuen Haus in Sch'chonat Ramot, in dem, wie sich herausstellte, der ehemalige Kulturattache der israelischen Botschaft in Chicago wohnte. Schatz sagte, der Gastgeber sei ein entfernter Cousin von ihm. Tali spielte Geige und ihr frischgebackener Ehemann Klavier. Sie spielten die Kreutzersonate, ein Stück, das Michael sehr liebte.
Als die Tür aufging, hörte Michael ihre Stimme. Zum Glück saß er mit dem Rücken zu ihr. Sie war ohne Schirm gekommen, war tropfnaß und hinterließ Wasserlachen auf dem hellen Teppich, der von einer Wand zur anderen den Boden des riesigen Salons bedeckte. Die Dame des Hauses versicherte ihr, das mache nichts (»es ist ja nur Wasser«), ihre ängstlichen Blicke aber folgten ihr. Nun konnte er sie im vollen Licht sehen. Sie trug ein schwarzes, einfaches Kleid, an der Hüfte gerafft, mit einem runden Ausschnitt und langen Ärmeln. Man hätte unmöglich sagen können, daß sie im üblichen Sinn schön war, aber sie hatte etwas Reizvolles und Verführerisches in ihren Bewegungen und ein Strahlen im Gesicht. Ihr Anblick erhellte sogar das Gesicht des Gastgebers, der lächelnd die Hände übereinanderlegte, auf eine Art, die ihn an den Ehemann Anna Sergejewnas erinnerte, aus Die Dame mit dem Hündchen.
Sie erkennt mich nicht, dachte er. Er wurde ihr an dem großen Tisch
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