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Am Anfang war der Seitensprung

Am Anfang war der Seitensprung

Titel: Am Anfang war der Seitensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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nickte zwischen zwei Bissen, unterbrach seine Mahlzeit aber nicht.
    »Ich muß Ihnen gestehen, daß ich eine große Bewunderin Ihres Stils bin«, schleimte ich los. »Es ist ein Genuß, Ihre Rezensionen zu lesen. Meistens übrigens ein größerer als die Lektüre der Werke selbst!«
    Er lauschte mir geschmeichelt, ließ sich aber nicht zu einer Antwort herab.
    Leider würden viel zu viele Leute sich heute zu Dichtern berufen fühlen, fuhr ich fort. Leute, die keine Ahnung vom Leben und noch weniger Ahnung vom Dichten hätten. Der Wert von Lyrik schlechthin sei dadurch in Frage gestellt, deshalb sei es so eminent wichtig, daß kompetente Kritiker wie er die Spreu vom Weizen trennten.
    »Weizen?« schnaubte er jetzt, »ich sehe weit und breit nur Spreu. Unter Zentnern von leeren Halmen und wertlosen Hülsen findet sich hie und da ein Weizenkörnchen. Sie können mir glauben, es deprimiert mich.«
    Ich ließ fallen, daß ich eine Radiosendung moderierte und schon lange den Wunsch hätte, ihn einzuladen.
    Zwei Stunden nur über moderne Dichtung und er als mein Gast, ob er sich das vorstellen könne? Das erste Mal verzog sich sein Gesicht zu einer Art Lächeln. »Ich denke doch, ich hätte eine Menge zu sagen«, meinte er selbstgefällig.
    »Davon bin ich überzeugt«, gurrte ich.
    Wenn Bammer das wüßte! Ich hatte noch nicht mal zugesagt, eine zweite Sendung zu machen. Na ja, egal, Pakleppa würde sicher nicht auf die Idee kommen, nachzufragen.
    »Übrigens, ich habe bei meinen Recherchen zufälligerweise ein Weizenkörnchen entdeckt«, sagte ich beiläufig.
    Daisy schien sich zu langweilen und verschwand Richtung Klo.
    »Ach ja?« fragte Pakleppa, »um wen handelt es sich?«
    »Um einen jungen Autor, Felix Mittermaier. Ich kenne ihn persönlich nicht, er hat bisher kaum etwas veröffentlicht, aber das wenige, das man lesen konnte, zeugt von erstaunlichem Talent.«
    »Wo hat er veröffentlicht?«
    Ich nannte den Namen des Blattes, wo Gedichte von Rilke abgedruckt waren.
    »Ich glaube, ich habe zufällig ein Exemplar da, ich hol’s Ihnen schnell.«
    Ich flitzte in Rilkes Zimmer und riß zwei Seiten aus dem Magazin. Dann griff ich nach ein paar losen Blättern, von denen Rilke neulich abgelesen hatte, und drückte Pakleppa alles in die Hand.
    »Sie können ja bei Gelegenheit mal reinschauen. Soviel ich weiß, ist im Verlag Lyrik & Co. ein kleiner Band in Vorbereitung, falls Sie noch mehr lesen wollen.«
    Pakleppa steckte die Seiten ein und pickte die letzte Krabbe von seinem Teller.
    »Ausgezeichnet, der Meeresfrüchtesalat«, lobte er und wischte sich mit dem Handrücken das Öl von den Lippen.
    Schon stand Daisy mit einem vollen Teller neben ihm und fütterte ihn mit einem Austernpilz. Ich nutzte die Gelegenheit, die beiden sich selbst zu überlassen.
    Wenn das klappte, würde Rilke mir bis ans Ende seiner Tage dankbar sein, denn eine Kritik von Pakleppa bedeutete den Durchbruch für einen Autor, ganz egal, ob sie gut oder schlecht war.

    »Du verdammte Idiotin!« brüllte Rilke ein paar Tage später und knallte mir die Zeitung hin.
    Mein Blick fiel auf eine Überschrift im Literaturteil.
    »Liebestrunkenes Lallen« stand über einer zweispaltigen Glosse, in der Pakleppa sich über den neuen Romantizismus in der Lyrik lustig machte. Mittendrin schilderte er, wie die alternde Geliebte eines jungen angeblichen Dichtergenies namens Felix Mittermaier ihm, dem Rezensenten, die peinlichen Ergüsse des angebeteten Knaben zugespielt hatte. Es waren nur ein paar Zeilen, aber die strotzten vor Bosheit. Meine Augen füllten sich mit Tränen, die Schamröte stieg mir ins Gesicht.
    »Wie konntest du das bloß tun?« schrie Rilke und lief wie ein verletztes Raubtier hin und her. »Du hast mich diesem Kerl zum Fraß vorgeworfen, mich lächerlich gemacht! Das verzeihe ich dir nicht. Niemals!«
    »Aber du hast selbst gesagt, du wünschst dir, mal von Pakleppa verrissen zu werden«, versuchte ich eine schwache Verteidigung.
    »Das ist kein Verriß, das ist eine Hinrichtung«, brüllte er, rannte in den Flur und donnerte die Wohnungstür hinter sich zu.
    Zitternd blieb ich zurück.
    Hartmann torkelte verschlafen in die Küche, er strich mit der Hand über seine Haarstoppeln und griff nach der Kaffeekanne.
    »Was ist denn in den gefahren?«
    Ich schob ihm wortlos den Artikel hin. Er schenkte sich eine Tasse voll und begann zu lesen. Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, das immer breiter wurde.
    »Das ist ja zu komisch«, lachte er

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